Unternehmen aus dem Silicon Valley wollen den internationalen Weiterbildungsmarkt erobern – und das auch in Deutschland.
Von Hendrik Bensch
Der Weg des Gründers einer der größten Online-Lernplattformen weltweit begann in einem kleinen türkischen Dorf, in dem Bildung ein sehr knappes Gut war. Eren Balis Schule hatte gerade mal einen Raum und einen Lehrer, der fünf Fächer unterrichtete. Doch alles änderte sich mit dem Tag, an dem Balis Vater einen Computer kaufte und einen Internetzugang für einige Monate organisierte. Der Rechner ermöglichte es dem jungen Türken, seiner Leidenschaft für Mathematik nachzugehen und immer mehr darüber zu lernen – so viel, dass er schließlich eine Goldmedaille in der nationalen Mathe-Olympiade gewann. Diese Erfahrung führte ihn zu der Geschäftsidee, die er fortan konsequent verfolgte: „Ich stellte mir vor, dass das Internet eines Tages der wichtigste Lernort für alle erdenklichen Themen sein würde“, erzählt Bali in einem Video der Lernplattform Udemy, die er 2010 zusammen mit Kollegen im Silicon Valley gründete.
Heute finden sich auf Udemy mehr als 100.000 Onlinekurse von mehr als 40.000 Dozenten. Das Spektrum der Videokurse reicht von Businessthemen, etwa zum Projektmanagement, über Programmierkurse bis hin zur Persönlichkeitsentwicklung. 30 Millionen Nutzer zählt die Plattform mittlerweile. Es sind zumeist Kunden, die bestimmte Fähigkeiten verfeinern wollen – seien es Entwicklersprachen, Webdesign-Techniken oder Onlinemarketing-Skills.
So wie Udemy wollen immer mehr Unternehmen aus dem Silicon Valley den internationalen Bildungs- und Weiterbildungsmarkt erobern – und das auch in Deutschland. Hierzulande haben sich zum Beispiel bereits eine Million Menschen bei der US-Plattform Coursera angemeldet, bestätigte Unternehmenschef Jeff Maggioncalda kürzlich der „Wirtschaftswoche“. Bei der Plattform edX sind fast eine halbe Million Deutsche registriert.
Auf den Seiten von Online-Bildungsanbietern wie Coursera und edX können sich die Nutzer Kurse von Universitäten zusammenstellen. Darunter sind US-Eliteuniversitäten wie Yale, Harvard und Princeton. Aber auch ein paar deutsche Hochschulen sind inzwischen Partner der US-Plattformen, wie die Ludwig-Maximilians-Universität München, das Karlsruher Institut für Technologie und die RWTH Aachen. Und die Nachfrage zieht – durch Corona befeuert – kräftig an. So hatte etwa edX im April die Zahl seiner aktiven Nutzer in Deutschland gegenüber dem Vor-Corona-Niveau verdreifacht, wie die „Wirtschaftswoche“ berichtete.
Die Hochschulen erhoffen sich durch die Kooperation einen Marketingeffekt. „Wir machen unsere Forschungsexzellenz in Verbindung mit innovativer Lehre weltweit sichtbar, damit ambitionierte Studierende aus allen Ländern der Erde auf uns aufmerksam werden“, so Stefan Leible, Präsident der Universität Bayreuth zum Start der Zusammenarbeit mit edX. Mehr Onlinelehre statt Präsenzveranstaltungen wird es künftig geben – davon ist nicht nur Maggioncalda überzeugt: „Ich denke, die Bildungslandschaft wird nach der Pandemie deutlich anders aussehen“, so der Coursera-Chef. Die großen Tech-Firmen wie Microsoft und Google nutzen ebenfalls die Plattformen, um beispielsweise IT-Zertifikat- Programme zu vermarkten. Beide haben auch unabhängig davon in den vergangenen Jahren ihre Aktivitäten im Bildungs- und Weiterbildungssektor stetig ausgebaut. Bei Google läuft bereits seit 2014 das digitale Bildungsprogramm „Zukunftswerkstatt“. In den Trainings geht es beispielsweise um Themen wie Onlinemarketing, berufliche Weiterbildung oder Grundlagenkurse zu maschinellem Lernen. Seit Kurzem arbeitet Google mit dem Karrierenetzwerk XING zusammen. Gemeinsam bieten sie digitale Lern- und Weiterbildungsangebote zu Employer Branding und Recruiting an. In einer anderen Bildungsinitiative arbeitet Google mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und zwei Industrieund Handelskammern zusammen, um Beschäftigten digitale Grundkenntnisse zu vermitteln.
Microsoft wiederum bietet unter anderem Schulungen zum Thema künstliche Intelligenz an und vermarktet über die eigene Onlineplattform Microsoft Learn Schulungen zu hauseigenen Produkten und anderen Fachbereichen – und zählt damit nach eigenen Angaben mit seinem Schulungs- Partner-Netzwerk zu einem der reichweitenstärksten Anbieter von Aus- und Weiterbildungsangeboten in Deutschland.
Die Corona-Pandemie haben die beiden Tech-Konzerne genutzt, um weiter in die Offensive zu gehen. Im Sommer haben sie IT Qualifizierungsprogramme gestartet, die teilweise kostenlos vergeben werden. Hunderttausende Menschen weltweit sollen auf diese Weise digitale Fähigkeiten erwerben – und mit einem Zertifikat belohnt werden. Microsoft mischt zudem über sein Tochterunternehmen LinkedIn und dessen Angebot LinkedIn Learning auf dem Weiterbildungsmarkt mit.
Die Nachfrage nach E-Learning-Angeboten dürfte angesichts zunehmender Digitalisierung und der Corona-Pandemie auch künftig kräftig wachsen. Wie eine LinkedIn-Umfrage ergeben hat, rechnen zwei Drittel der Personalentwickler damit, dass sie in diesem Jahr mehr für virtuelle Live-Schulungen ausgeben werden als 2019. Fast genauso viele gehen davon aus, dass ihr Unternehmen mehr in E-Learning investieren wird. Das Lernen verschiebt sich somit immer stärker in den digitalen Raum. Auch Eren Bali hätte sicherlich nicht gedacht, dass seine Vision so schnell Wirklichkeit werden würde.
ANZEIGE