„AI made in Germany“

Die deutsche Gesundheitswirtschaft kann durch KI-Innovationen auch in Zukunft auf dem weltweiten Markt ganz vorne mitmischen. Der Gesundheitssektor könnte die Automobilwirtschaft hierzulande dank „AI made in Germany“ sogar als Schlüsselindustrie ablösen. Dabei kommt dem oftmals gescholtenen Datenschutz eine wichtige Rolle zu.

Von Felix Faber, CEO und Gründer von Mindpeak

Viele von uns kennen Verwandte und Freunde, die schwer an Krebs erkrankt sind oder waren. Unser größter Wunsch ist in so einem Fall, dass diese Personen die bestmögliche Behandlung erfahren. Ein guter Freund von mir lebte in der französischen Provinz. Ich hatte ihn einige Jahre nicht gesehen, doch dann besuchte er mich vor vier Jahren spontan. Ich war überrascht, dass er vorbeikam und wir verbrachten das Wochenende vergnügt und unbeschwert miteinander. Kurz bevor er fuhr, erwähnte er beiläufig, dass er Prostatakrebs im fortgeschrittenen Stadium hat. Da wurde mir schlagartig klar: Dies war seine Abschiedsreise.

Als er fort war, fing ich an zu recherchieren und entdeckte, dass Prostatakrebs umso besser behandelbar ist, je früher und genauer er diagnostiziert wird. Also fragte ich mich, ob mein Freund gut genug untersucht worden war und ob man den Tumor nicht hätte früher entdecken können. Vor diesem Hintergrund haben mein Partner Dr. Tobias Lang, den ich schon aus Studienzeiten gut kenne, und ich uns die Frage gestellt, wie man Ärzte bei der Krebsbefundung unterstützen und entlasten kann.

Dieser Gedanke war am Ende die Initialzündung dafür, das Start-up Mindpeak zu gründen und einen Algorithmus zu entwickeln, der zuverlässig und sehr genau Krebszellen erkennen und klassifizieren kann. Tobias und ich haben damals bei der Gründung von Mindpeak vor drei Jahren erkannt, dass künstliche Intelligenz hier entscheidend helfen kann. Insbesondere die Themen Deep Neural Networks und Machine Learning sind an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht nur für viele Zwecke – insbesondere beim Thema Bilderkennung – einsetzbar sind, sondern auch einen tatsächlichen Mehrwert beispielsweise in der klinischen Routine schaffen können.

Die neuen Möglichkeiten durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz und die wachsenden Anforderungen an die Notwendigkeit zur Digitalisierung von Prozessen und Routinen in Laboren, Kliniken und Arztpraxen werden unser Gesundheitswesen in den nächsten Jahren stark verändern. Die gesamte Gesundheitswirtschaft steht vor einer Transformation – wie ich meine zum Besseren.

Viele Menschen haben Sorge, dass digitale Instrumente wie beispielsweise künstliche Intelligenz zu stark in das so wichtige Arzt-Patienten-Verhältnis eingreifen. Ich sehe es genau andersherum: Die Digitalisierung kann dazu führen, dass Ärztinnen und Ärzte von immer wiederkehrenden, ermüdenden und zeitintensiven Tätigkeiten befreit werden und somit mehr Zeit für ihre Patientinnen und Patienten haben. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die Explosion der Kosten im Gesundheitswesen nur durch die Digitalisierung und den Einsatz von KI begrenzt oder sogar gestoppt werden kann. Zudem können durch diese Entwicklung und die Kostensenkung – beispielsweise bei der Krebsbefundung – wichtige Routinen und Diagnosen immer mehr Menschen zugänglich gemacht werden.

Es gibt aber noch einen weiteren, sehr interessanten Aspekt mit Blick auf die Digitalisierung im Gesundheitsbereich: Sie birgt eine ungemeine Innovationskraft und bietet, gerade für Deutschland mit seinem traditionell starken Gesundheitssystem, große Chancen. Der Einsatz von KI verbessert bereits viele Prozesse und Vorgänge des täglichen Lebens wie beispielsweise das Entsperren des Handys per Gesichtserkennung oder die Routenplanung. Künstliche Intelligenz ist besonders gut bei der Erkennung von Mustern und Bildern. Diese „Fähigkeit“ schafft vor allem bei der Diagnose von Erkrankungen und beim autonomen Fahren große Anwendungsmöglichkeiten. Dabei hat jedoch das Thema Gesundheit gegenüber dem Thema Mobilität beziehungsweise Automobilbranche eine viel größere Innovations- und Entwicklungschance.

Der Gesundheitsmarkt ist, wirtschaftlich betrachtet, jetzt schon ähnlich groß wie die bisherige Topbranche Automobilwirtschaft – kann diese aber in den nächsten Jahren als Schlüsselindustrie ablösen. Menschen investieren immer stärker in ihre Gesundheit, die Möglichkeiten zur Diagnose und Behandlung von Krankheiten verbessern sich und moderne Medizin wird für immer mehr Menschen zugänglich. Das Wachstum und die Innovationskraft im Automobilbau sind hingegen eher begrenzt und vorhersehbar und beschränken sich weitgehend auf Vernetzung, autonomes Fahren und die Entwicklung ökologischer Antriebe.

Allein der digitale Gesundheitsmarkt wird weltweit bis 2025 auf fast eine Billion Euro anwachsen, erwartet die Unternehmensberatung Roland Berger. Getrieben ist dieser Prozess von Innovation: Deutschland hat mit seinem traditionell starken und innovativen Gesundheitssystem, seinen großen Forschungseinrichtungen, Laboren und Universitätskliniken und dem so wichtigen Gut Patientenvertrauen hervorragende Chancen eine Vorreiterrolle einzunehmen. Von den ersten Beatmungsgeräten der Welt von Dräger bis hin zum besten Impfstoff der Welt von Biontech (in Kooperation mit Pfizer) hat Deutschland immer wieder gezeigt, wie leistungsfähig es in der Medizin ist. Das, was Deutschland an Innovation und Pionierarbeit zum Beispiel in der Apparatemedizin und auch der Wissenschaft geleistet hat, kann es daher auch im Bereich der KI im Gesundheitswesen leisten.

Patientenvertrauen wird in Deutschland großgeschrieben, denn es ist ein hohes Gut und sichert die beste medizinische Versorgung. Patienten weltweit schätzen das deutsche Gesundheitswesen und darauf können wir mit KI-Lösungen aufbauen. Wenn man hingegen auf die Wettbewerber in anderen Ländern schaut, ist zum Beispiel beim Thema Datenschutz – eine wichtige Grundlage für Patientenvertrauen – vieles unklar: In China ist der Umgang mit Daten völlig intransparent und weder klar, wo die Daten herkommen noch, wo sie eingesetzt werden. Und in den USA haben die sogenannten Big Five – Apple, die Google-Mutter Alphabet, Amazon, Facebook und Microsoft – einen enormen Einfluss auf den Umgang mit Daten und sind ebenfalls alles andere als transparent.

Deutschland steht demgegenüber für Sicherheit, Zuverlässigkeit und Datenschutz. Der so oft gescholtene Datenschutz hat hier eine wichtige Funktion: Er sorgt dafür, dass Menschen daraufsetzen können, dass mit ihrem höchsten Gut – Gesundheit – sorgsam und vertrauensvoll umgegangen wird. Dies wiederum ist die Voraussetzung dafür, dass auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz in diesem gesamten Prozess akzeptiert wird.

Schon jetzt verlangen viele Kliniken das Siegel „approved by AI“ bei Diagnoseergebnissen. Der nächste Schritt wird sein, dass auch Patientinnen und Patienten erwarten, dass ihre Diagnose mit Unterstützung von künstlicher Intelligenz erstellt oder überprüft worden ist. Dabei ist allerdings elementar, dass die KI den Arzt „nur“ unterstützt und nicht ersetzt. Menschen erwarten zu Recht, dass eine so existenzielle Diagnose – wie beispielsweise Krebs – von einem Menschen erstellt wird und nicht von einer Maschine. Aber die KI kann dem Arzt auf diesem Weg immens helfen und ihn stark entlasten.

Auf der anderen Seite allerdings brauchen KI-Lösungen Daten, damit sie smart sein können. Und während uns der Datenschutz auf der einen Seite in Hinblick auf Patientenvertrauen einen Vorteil verschafft, müssen wir auf der anderen Seite darauf achten, dass wir die richtige Balance finden zwischen Datenschutz und Nutzbarmachung von Daten für künstliche Intelligenz und somit für das Wohl aller.

Israel hat gezeigt, wie man durch das Teilen von anonymisierten Daten einen weltweiten Nutzen schaffen kann. Das Land kam beim Impfstoff von Biontech/Pfizer zuerst zum Zuge, weil die Regierung bereit war, die anonymisierten Daten der geimpften Bevölkerung mit den Pharmaunternehmen zu teilen. Dieser Umgang mit Daten würde vermutlich in Deutschland auf Skepsis treffen. Gleichzeitig helfen jedoch auch deutschen Patienten die Erkenntnisse, die aus den israelischen Daten gewonnen werden enorm, zum Beispiel bei der Beurteilung, wie ansteckend noch geimpfte Patienten sein können.

Eine ähnliche Balance sollte gefunden werden, wenn es um die Regulierung von Medizinprodukten geht. Regulierung soll im Wesentlichen Sicherheit für den Patienten bieten. Bisher stammen allerdings die Regeln und Normen im Gesundheitsbereich aus einer Zeit, als Medizinprodukte hauptsächlich Geräte waren. Nun wird mehr und mehr Software und vor allem KI-Software als Medizinprodukt zugelassen.

Viele Anforderungen der Regulierer passen jetzt nicht mehr zu dieser neuen Art der Medizinprodukte. Und so ertrinken viele Start-ups in überbordender Bürokratie und sind gezwungen, nicht mehr passende Regeln zu erfüllen, statt ihre Zeit darauf zu verwenden, bessere KI-Lösungen zu entwickeln. Dies birgt allerdings Risiken beziehungsweise vergibt große Chancen: Denn es ist immer relativ leicht zu messen, wie viele Patienten durch ein Medizinprodukt zu Schaden gekommen sind. Aber es ist nicht leicht zu messen, wie viele Patienten zu Schaden kommen, weil eine neue, innovative Lösung eben erst gar nicht auf den Markt gekommen ist.

Dies ist kein Plädoyer für die Abschaffung des Datenschutzes oder der Regulierung – im Gegenteil. Es ist ein Plädoyer dafür, sich als Unternehmen aktiv zu beteiligen und beides mitzugestalten, um zu verhindern, dass das Pendel zu sehr zu einer Seite ausschlägt.

Wir bringen uns deshalb sehr aktiv beim Thema Regulierung ein: Wir haben mit Unterstützung der DIN die beiden DINSPECs 13266 und 13288 als Leitfäden für die Entwicklung von Deep-Learning-Bilderkennungssystemen für die Medizin federführend entwickelt. In meiner Rolle als DIN-Normenbotschafter durfte ich zudem den Bundestag in seinen entsprechenden Ausschüssen mehrfach beraten.

Wenn es Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam schaffen, diese gesunde Balance herzustellen, bietet sich für Deutschland eine enorme Chance. Wenn wir Patientenvertrauen und unsere Ingenieurskunst kombinieren, kann „AI made in Germany“ insbesondere im Gesundheitssektor ein weltweites Gütesiegel werden. „AI made in Germany“ hat die besten Voraussetzungen im Health-Bereich zum weltweiten „value of approval“ oder „value of quality“ zu werden.

Deutschland kann, ähnlich wie einst beim Gütesiegel „Made in Germany“, eine Spitzenposition einnehmen und somit dazu beitragen, dass künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen als Innovationsmotor die alte Schlüsselindustrie Auto in naher Zukunft ablöst.


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