Die Kraft der Knappheit versus spätrömische Dekadenz

Die Unternehmen der Gesundheitswirtschaft schöpfen ihr Innovationspotenzial nicht aus. Das ist hochgefährlich, insbesondere mit Blick auf die demografische Entwicklung.

Von Prof. Dr. Andreas Beivers

Das Entstehen von Innovationen ist eines der ältesten Forschungsfelder der Ökonomie. So glauben wir Ökonomen durchaus an die Effizienz und die Produktivität der Knappheit, da diese – so die Annahme – von den Haushalten und Unternehmen überwunden werden möchte. Daraus entsteht dann der Anreiz, Innovationen zu entwickeln und auch rasch umzusetzen, um die eigene Situation zu verbessern. Dies ist – im Gegensatz zur „spätrömischen Dekadenz“ – eine der Triebfedern des wirtschaftlichen Wachstums. Wie die Innovation entsteht, ist eine zentrale Frage der endogenen Wachstumstheorie, wofür der US-amerikanische Ökonom Paul Romer im Jahr 2018 mit dem Wirtschafts-Nobelpreis ausgezeichnet wurde. So zeigen gerade endogene Wachstumsmodelle die herausragende Bedeutung des Humankapitals (sprich der Mitarbeiter) für die Entstehung von Innovationen, die wiederum ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und damit die ökonomische Prosperität von Unternehmen sowie der Volkswirtschaft sicherstellen (siehe folgenden Link).

Innovation geht aber auch immer mit Disruption einher. So fordert die Umsetzung und Implementierung echter Innovationen immer eine Disruption vieler bestehender Systeme. In der Ökonomie ist dieses Phänomen gemäß dem österreichischen Volkswirtschaftler und Sozialwissenschaftler Joseph A. Schumpeter als „Schöpferische Zerstörung“ bekannt, wonach jede relevante (ökonomische) Entwicklung auf dem Prozess der schöpferischen und kreativen Zerstörung beruht. So werden durch eine erfolgreiche Neukombination von Produktionsfaktoren alte Strukturen verdrängt und damit eine Neuordnung zugelassen (siehe unten). Wie der neue Healthcare Innovation Index (HiinX) jedoch zeigt, nutzen die Organisationen der Gesundheitswirtschaft ihr Innovationspotenzial zum einen nicht aus und tun sich zum anderen schwer, bereits vorhandene Innovationen – wie beispielsweise im Bereich der Digitalisierung – umzusetzen. Aus (gesundheits-)ökonomischer Sicht ist dies jedoch ein riesiger Fehler, vergleichbar mit der schon angesprochenen „spätrömischen Zeit“. Auch wenn derzeit Deutschland eine rekordverdächtige Anzahl an Erwerbstätigen aufweist, werden die geburtenstarken Jahrgänge schon bald aus dem Erwerbsleben ausscheiden (Abbildung). Der große „Rentenansturm“ ist im Laufe der 2020er-Jahre zu erwarten (Augurzky und Beivers 2018). In Kombination mit weltwirtschaftlichen Konjunkturrisiken als auch einer Zunahme der Ansprüche aus den Sozialversicherungen wird es schon bald zu einer neuen Phase der Knappheit kommen. Diese könnte dann jedoch länger und stärker als gewohnt ausfallen. 

Umso wichtiger erscheint es für Unternehmen der Gesundheitswirtschaft, schon heute ihr Innovationspotenzial zu nutzen und digitale Innovationen umzusetzen. Sie haben jetzt die Möglichkeit, dies strategisch und durchdacht zu implementieren und sollten nicht so lange warten, bis sie dann – in Zeiten der Not – im Affekt handeln müssen. Denn während der Versorgungsbedarf im Gesundheitswesen steigen wird, können die Unternehmen dann die dafür nötigen finanziellen und personellen Ressourcen nicht mehr ohne Weiteres in gleichem Maß aufbauen (Augurzky und Beivers 2018). 

Dazu müssten massiv Arbeitskräfte aus dem Ausland oder aus anderen Branchen für die Gesundheitsbranche gewonnen werden, was sehr wettbewerbsfähige Arbeitsplätze verlangt, also unter anderem steigende Löhne. Da im deutschen Gesundheitswesen die Preise für Gesundheitsleistungen staatlich reguliert sind, können höhere Löhne jedoch nicht einfach über höhere Preise der Leistungserbringer aufgefangen werden. 

Umso mehr gilt es schon heute, die großen Chancen etwa bei der Neudefinition von digitalen Prozessen zu nutzen und kluge Antworten für die Gesundheitsunternehmen zu finden. Dies ist eindeutig eine zentrale Führungsfrage in jedem Unternehmen und wichtiger Teil einer zielführenden, langfristigen Unternehmensstrategie. Ziel muss es daher sein, eine „produktive Unruhe“ bei den Mitarbeitern zu schaffen, die ein innovationsfreundliches Klima schafft. Wege zur Verbesserung kann dabei der Healthcare Innovation Index (HiinX) von Transformation Leader (TL) aufzeigen. 

Summa summarum zeigen die – im deutschsprachigen Raum bis dato einzigartigen – Index-Ergebnisse einen großen Handlungsbedarf auf. Aber wie so oft im Gesundheitswesen besteht kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Es ist an der Zeit, dies zu ändern und selbst unternehmerisch zu gestalten, bevor der Mangel wie auch der politische Wille, immer mehr dirigistisch vorzuschreiben, dazu führt, dass man „gestaltet wird“.  

Kreative Zerstörung ist notwendig

Nach Schumpeter

Joseph Alois Schumpeter (1883 – 1950) war einer der bedeutendsten österreichischen Nationalökonomen.

Joseph Schumpeter prägte als Erster den Begriff für den durch den Wettbewerb ausgelösten Prozess der ständigen Erneuerung und Verbesserung der Produktionsverfahren und Erzeugnisse. Den Prozess der schöpferischen Zerstörung, bei dem alte Güter und Produktionsverfahren ständig durch neue ersetzt werden, sieht Schumpeter als Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Eine zentrale Rolle spielt dabei der schöpferische, einfallsreiche Unternehmer, der durch neue Ideen und den Einsatz neuer Produktionsmethoden, Techniken und Verarbeitungsmöglichkeiten den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt immer wieder vorantreibt.

Das Arbeitsvolumen in Deutschland wird sinken*

Komponenten der Veränderung des Arbeitsvolumens Veränderung gegenüber Vorjahr in % (Arbeitsvolumen) beziehungsweise in Prozentpunkten

Literatur

Augurzky, B., Beivers, A. (2019), Digitalisierung und Investitionsfinanzierung, in: Klauber, J., Geraedts, M., Friedrich, J., Wasem, J. [Hrsg.], Krankenhaus-Report 2019, Springer Verlag, Berlin, S. 67-80.

Romer, P. M. (1990), Endogenous technological change, Journal of Political Economy, Vol. 98, S. 71-102.

Schumpeter, J. A. (2018), Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 9. Auflage, UTB Verlag, Stuttgart.