Das Münchener Innovationszentrum UnternehmerTUM gilt als führende Gründerschmiede Europas. Gemeinsam mit der TU München bringt das gemeinnützige Unternehmen auch zahlreiche Healthcare-Start-ups auf den Weg. Erfolgsgarant ist ein großes Ökosystem mit vielen Partnern.
Von Anna Friedrich
Jeder zweite Mensch in Deutschland bekommt im Laufe seines Lebens die Diagnose Krebs. Entnimmt ein Arzt eine Gewebeprobe, wird sie später ins Labor geliefert, wo Mitarbeiter sie umpacken und beschriften. Die manuelle Arbeit dauert nicht nur lange, sondern ist auch fehleranfällig. Mitunter werden Proben vertauscht. In bis zu 15 Prozent der Krebsdiagnosen treten Unregelmäßigkeiten auf, schätzen Branchenexperten. Deshalb haben Maria und Dominik Sievert ein Automatisierungssystem entwickelt. Es digitalisiert den Versand und Eingang der Gewebeproben und vernetzt Labore und Arztpraxen. Erst 2017 gegründet, hat Inveox mittlerweile Niederlassungen in Polen und den USA.
An der rasanten Entwicklung des Start-ups hat der Studienort der Sieverts einen großen Anteil: München. Denn hier befindet sich das Innovationszentrum UnternehmerTUM. Seit fast 20 Jahren bringt es erfolgreiche Start-ups hervor. Unternehmerin Susanne Klatten hatte das Zentrum damals gegründet und kooperiert seitdem mit der TU München, um Gründer zu unterstützen. Heute bringt das gemeinnützige Unternehmen jährlich mehr als 80 Technologie-Start-ups auf den Weg – und ist damit eigenen Angaben zufolge das führende Zentrum für Gründung und Innovation in Europa. Zu den erfolgreichen Unternehmen zählen etwa das Flugtaxi-Start-up Lilium, das Raumfahrtunternehmen Isar Aerospace und allen voran Celonis, der Marktführer im Bereich Process Mining, der mittlerweile mit mehr als zehn Milliarden US-Dollar bewertet wird (siehe Transformation Leader, Ausgabe 03/2020).
Das Gründerzentrum und die TU München sind zwar juristisch eigenständig, arbeiten aber eng verzahnt. Der Vorteil der Eigenständigkeit: Bei UnternehmerTUM können nicht nur Studierende der TU München mitmachen. „Wir wollen nicht nur Top-Talente nach München ziehen, sondern auch Start-ups und Investoren“, sagt UnternehmerTUM-COO Stefan Drüssler.
UnternehmerTUM bietet Start-ups einen „Rundumservice“, wie Drüssler es nennt. Ein Team aus mehr als 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – darunter Unternehmer, Wissenschaftler und Investoren – unterstützen junge Gründerinnen und Gründer. Und das von der Idee bis zum Börsengang: etwa beim Aufbau des Unternehmens, beim Markteintritt und bei der Finanzierung. UnternehmerTUM hat auch einen eigenen Venture-Capital-Fonds, mit dem es sich an besonders vielversprechenden Start-ups beteiligt.
Auf dem Forschungscampus in Garching bei München steht das Entrepreneurship Center von UnternehmerTUM. Hier gibt es den MakerSpace, eine Hightech-Werkstatt auf 1.500 Quadratmetern, in der junge Gründer Prototypen bauen und Kleinserien fertigen können. Im Münchener Univiertel steht seit diesem Jahr das Munich Urban Colab, eine Initiative von UnternehmerTUM und der Stadt München. Hier arbeiten Start-ups, etablierte Unternehmen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Kreative unter einem Dach – und tüfteln gemeinsam mit der Stadtverwaltung an Lösungen zu den Themen Mobilität, IT, Energie und Gesundheit.
UnternehmerTUM bietet aber nicht nur Jungunternehmen eine Plattform, sondern auch etablierten Unternehmen einen Zugang zu seinem Ökosystem. „Das ist unser Erfolgsgeheimnis“, sagt Drüssler. Rund 150 Partner zählt UnternehmerTUM, darunter große Namen wie die Allianz, BMW, Google und SAP. Türöffner für die langfristigen Partnerschaften waren erfolgreiche Einzelprojekte. „Durch die gute Zusammenarbeit bei Innovationsprojekten oder als Unternehmenspartner für Start-ups und Gründungsprojekte konnten wir über die Jahre ein Netzwerk aufbauen“, sagt Drüssler. Dafür sei der Standort München ideal: Er habe eine hohe Strahlkraft – nicht nur für junge Gründerinnen und Gründer, sondern auch für etablierte Unternehmen.
Die finanzielle Unterstützung durch Susanne Klatten hält UnternehmerTUM dabei den Rücken frei. So hat die Aufsichtsrätin beispielsweise die Baukosten des Munich Urban Colabs in Höhe von 30 Millionen Euro übernommen. Das Münchener Innovationszentrum sichert seine Finanzierung aber vor allem selbst: Es finanziert sich etwa zu einem Viertel über Projekte mit Stiftungen und öffentlichen Partnern. Drei Viertel der Einnahmen stammen aus der Zusammenarbeit mit Unternehmen, beispielsweise in Projekten. Die Firmen zahlen eine Art Projektgebühr. Dafür halten die Experten von UnternehmerTUM beispielsweise Workshops und Trainings ab, begleiten sie bei der Entwicklung neuer Geschäftsideen oder einer Innovationsstrategie. Das sorgt für eine stabile Finanzierungsbasis.
Damit Hochschulen Kickstarter für Neugründungen sein können, brauchen sie aber noch viel mehr, sagt UnternehmerTUM-COO Drüssler. Viele Hochschulen hätten Entrepreneurship in ihrer Lehre verankert oder ein Gründerzentrum aufgebaut. „Aber die wenigsten vereinen beides“, sagt er. Und auch das allein reiche nicht, so Drüssler: „Die Hochschulleitung muss dafür einstehen, Professoren müssen die Ideenentwicklung fördern.“ Gründer-Hochschulen brauchen seiner Meinung nach zudem statt Frontalunterricht in überfüllten Vorlesungssälen verstärkt neue Ausbildungsformate: bei denen Studierende Ideen entwickeln, Prototypen bauen und sich mit anderen Fachrichtungen in einem Raum austauschen.
Wie wichtig Hochschulen für das Gründungsgeschehen in Deutschland sind, zeigt der Deutsche Startup Monitor, für den mehr als 2.000 deutsche Start-ups befragt werden. Ein zentrales Ergebnis daraus: Der überwiegende Teil der Gründerinnen und Gründer hat einen Hochschulabschluss. „Das heißt, der Gründergedanke sollte schon in der Hochschule verankert werden“, sagt Tobias Kollmann, Inhaber des Lehrstuhls für Digital Business und Digital Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen und Mitherausgeber des Startup Monitors. UnternehmerTUM ist seiner Meinung nach „ein Vorzeigemodell“. „Die Kombination von Masterarbeit und Gründungsvorhaben mit einer akademischen Betreuung der UnternehmerTUM-Professoren und einer praxisorientierten Beratung vom UnternehmerTUM ist erstklassig.“
Das Modell UnternehmerTUM ist theoretisch auf jede Hochschule übertragbar. Dafür benötigen sie aber vor allem entsprechendes Personal: „Unternehmerische Hochschulen brauchen gute Professoren, die Ideen vorantreiben wollen. Und Leute, die verstehen, wie Kapitalmärkte in der Frühphase funktionieren, die Kontakte in die Industrie und Gründerszene haben“, sagt Wirtschaftsinformatiker Dominik Böhler. Er ist Experte für Healthtech-Gründungen und hat von 2013 bis 2020 die Entrepreneurship-Ausbildung bei UnternehmerTUM geleitet. Aktuell lehrt der Professor an der TH Deggendorf Digital Healthcare und treibt dort die Kooperationen zwischen Wissenschaft und Gesundheitssektor voran. „Das Thema Healthtech wird für Studierende immer relevanter“, beobachtet er. Während der sieben Jahre bei UnternehmerTUM hat er 150 Start-ups bei der Ausgründung begleitet – ein Sechstel davon waren Healthcare-Ausgründungen.
Die Basis dafür legt eine enge Zusammenarbeit mit dem Gesundheitswesen vor Ort. UnternehmerTUM arbeitet beispielsweise mit den Unikliniken der TU München und der Ludwig-Maximilians-Universität zusammen. „Wir wollen den Studierenden den Zugang zu Krankenhäusern öffnen“, sagt Böhler. „Ideen sind gut, aber es muss auch einen Bedarf geben – und den kriegt man am besten vor Ort mit.“ Damit sich Studierende und Klinik-Mitarbeiter besser kennenlernen, gibt es verschiedene Events wie das MedTech Bootcamp, bei dem Forscherinnen und Forscher nach ihrer Dissertation Innovationen in der Medizintechnik vorantreiben.
Alles in allem sei es „sehr aufwendig“ Hochschule und Unternehmertum zu vereinen, sagt Drüssler. Hochschulen müssten in allen Phasen unterstützen, auch bereits bevor eine Unternehmensidee feststehe. Hierbei würden interdisziplinäre Ausbildungsformate helfen, in denen beispielsweise Architekten, Chemieingenieure und Agrarwissenschaftler zusammen lernen und sich austauschen. Zusätzlich benötige man eine Einrichtung wie den MakerSpace, wo die angehenden Gründerinnen und Gründer erste Prototypen bauen und ihre Idee vorantreiben können. Auch das Ehepaar Sievert hat hier die ersten Schritte gemacht – und es bereits kurze Zeit später auf die Forbes-Liste mit den vielversprechendsten Start-ups weltweit geschafft.
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