Erfolg macht nicht zwangsläufig behäbig. Längst haben sich die Global Player der Gesundheitsindustrie Beweglichkeit verordnet. Open Innovation, eine offene Transformationskultur, soll die Basis künftiger Erfolge bilden. Wie das gelingen kann? Ein Laborbesuch in Indianapolis.
Von Dr. Stephan Balling
“ 2.257 Meilen weiter östlich, Indianapolis, die Firmenzentrale von Eli Lilly…“
Kalifornien, der Golden State, zieht seit jeher Menschen aus allen Erdteilen an. Hier verschmilzt das Erbe verschiedener Kulturen, das zeigen allein schon die Gotteshäuser von Katholiken, Protestanten, Russisch-Orthodoxen, Juden, Muslimen und Hindus, die sich hier rund um die Bay finden. Einen entscheidenden Knotenpunkt im Hightech-Ökosystem an Amerikas Westküste bilden die Topadressen der internationalen Wissenschaftslandschaft, eine der bekanntesten Adressen weltweit ist sicher die Stanford University. Dazu kommt Wagniskapital, das in die Bay strömt. Die Internetgiganten Google, Facebook und Apple ziehen IT-Experten aus aller Welt an. Und schließlich sei die Gegend um San Francisco auch „der Geburtsort der Biotechnologie“, sagt Haskell. Der Naturwissenschaftler verweist auf die 150-jährige Geschichte von Bayer.
„Künftig müssen wir uns bewusst sein, dass wir nicht nur ein Unternehmen sind, das Medikamente für Patienten entwickelt, sondern eine Firma, die die Gesundheit von Patienten transformiert“,
sagt Haskell. Bayer sei nicht mehr nur ein klassisches Unternehmen im Bereich Pharma und Agrarwirtschaft, sondern arbeite mit Blick auf die Zukunft immer stärker auch im Bereich digitale Medien oder Gentherapien.
Offenheit für neue Technologien und alternative Forschungsansätze seien bei Bayer oberstes Gebot. Im Zeitalter der Digitalisierung drängen Unternehmen wie Amazon, Apple oder Google in immer neue Geschäftsgebiete vor. Diese Unternehmen seien zwar sehr leistungsfähig, wenn es darum gehe, Daten zu sammeln und zu nutzen, sagt Haskell. Aber wenn es darum geht, wissenschaftlich evidenzbasierte Bewertungen durchzuführen, sei Bayer sehr stark.
Den anderen – das Neue – nicht als Gegner zu sehen, sondern dessen Stärken zu nutzen, das ist der amerikanische Geist, der hier weht, an der Pazifikküste im nördlichen Kalifornien vielleicht ganz besonders. „Wir werden viele Möglichkeiten finden, mit den digitalen Riesen zusammenzuarbeiten. Gemeinsam können wir Patienten nutzen“, sagt Haskell.
Kalifornien und den Mittleren Westen der USA mögen politisch und auch kulturell Welten trennen – Donald Trump gewann den Bundesstaat 2016 souverän mit 56,5 Prozent vor Hillary Clinton mit 37,5 Prozent, die Westküste dagegen blieb fest in demokratischer Hand. Aber der offene Geist der Innovation weht auch hier. In Indy, wie die Bewohner ihre eher beschauliche Stadt liebevoll nennen, steht der wissenschaftliche Anspruch ganz oben. Die Kernkompetenz eines Pharmaunternehmens, wissenschaftliche Methoden und chemische Verfahren zu verbinden mit Erkenntnissen aus Biotechnologie und Big-Data-Analytics, das ist die Transformationsaufgabe schlechthin, dieser muss sich auch das 1876 gegründete Unternehmen stellen.
Traditionelle Stärken zu bewahren, neue technologische Kompetenzen zu gewinnen und offen zu prüfen, wo es mit den neureichen Spielern aus dem Silicon Valley Kooperationsmöglichkeiten gibt – so lautet der Dreiklang, mit dem Pharmaunternehmen die Zukunft angehen.
Seit 18 Jahren forscht Dr. Ronald DeMattos an einem Mittel gegen Alzheimer. Dass es Rückschläge gab, dass gegen die Krankheit immer noch kein Mittel gefunden wurde, muss er hinnehmen. „Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet, Stück für Stück Erkenntnisse zu gewinnen“, beschreibt der Biochemiker seine Arbeit. Stolz berichtet er über neue Methoden, um Moleküle zu isolieren und die Wirkungen von Substanzen auf Zellen sichtbar zu machen. Das soll helfen, die Krankheit besser zu verstehen. „Die Fortschritte in den zurückliegenden fünf Jahren können sich sehen lassen“, sagt er. Kärrnerarbeit im Chemielabor steht im Fokus. Er ist zuversichtlich, ein Medikament gegen die schlimme neurologische Erkrankung entwickeln zu können. DeMattos verkörpert dazu nahezu den Prototypen eines modernen Wissenschaftlers, der akademische Standards mit modernen Techniken und unkonventionellen Ansätzen verknüpft. Vielleicht steht er damit sinnbildlich auch für den Transformationsprozess eines traditionsreichen Pharmaunternehmens, und das Gesundheitswesen schlechthin.
Was das bedeutet, erklärt Dr. Divakar Ramakrishnan, Vice President of Digital Health bei Eli Lilly, im Podcast-Interview von Transformation Leader. Er zieht den Vergleich zur Automobilindustrie: Nachdem Henry Ford in den ersten 15 Jahren des 20. Jahrhunderts das Automobil zur Massenproduktion gebracht hatte, dauerte es noch einige Jahre, bis dann in den 1920er-Jahren der Bau von Highways begann und dem Auto endgültig zum Durchbruch verhalf. Für ein wirklich digitales Gesundheitssystem, sagt Ramakrishnan, gebe es zwar bereits die Autos, aber ein modernes Highwaysystem fehle. Eine hoch entwickelte Medizin, exzellente Krankenhäuser, bilden eben noch kein digitales Gesundheitswesen, solange technische Insellösungen vorherrschen. „Wenn es darum geht, dass die richtige Medizin der passende Patient zum richtigen Zeitpunkt erhält, ist noch einiges zu tun“, sagt der Digitalexperte. Lilly arbeite deshalb an Systemen, damit Patienten die richtige Dosis Medizin zum richtigen Zeitpunkt erhalten. „So betrachten wir das Thema digitale Transformation“, sagt Ramakrishnan.
Als Beispiel verweist er auf die Lösung „Connected Care“. Mit diesem Prinzip werde es gelingen, Menschen mit Diabetes das Leben zu erleichtern und ihre Gesundheit zu verbessern. 1923 hatte Eli Lilly das erste Insulinpräparat auf den Markt gebracht. „Was wir jetzt erreichen wollen, ist, jedem Einzelnen zu helfen, sich die richtige Insulindosis zur richtigen Zeit zu verabreichen und zugleich seinen Blutzuckerspiegel im Auge zu behalten. Vernetzte Verabreichungsgeräte, angeschlossene Glukosemessgeräte und Apps können uns dabei helfen.“
Eine App aus dem Haus eines etablierten Pharmaunternehmens? „Es gibt viele Dinge, die nicht zum Kern unserer Kompetenzen gehören, und in solchen Fällen arbeiten wir mit anderen zusammen.“ Ramakrishnan nennt Hightech-Gerätehersteller oder Algorithmen, die Lilly von anderen erworben habe. Selbstbewusst fügt er hinzu: „Letztendlich werden diese Lösungen ebenso wie unsere Medikamente und Medizinprodukte reguliert. Hier bringen wir unser traditionelles Wissen über Forschung und Entwicklung sowie die Ansprache von Patienten mit unserer Medizin ein.“
Apple oder Google konstatiert er „beeindruckende Arbeit“, weshalb Lilly mitunter ohne Scheu auf Partnerschaften mit diesen vergleichsweise neuen Spielern setze. In einer gemeinsamen Studie mit Apple habe man beispielsweise zeigen können, dass über Handys und smarte Uhren frühe Hinweise identifiziert werden könnten für kognitive Erkrankungen. „Was wir mitbringen, ist ein Verständnis der Krankheit und dessen, was nötig ist, um eine neue Idee zu entwickeln für Medikamente und Medizinprodukte, die Patienten nutzen können“, sagt er.
Das Ökosystem der Pharmaindustrie ändert sich. Offenheit für Kooperationen mit neuen Akteuren und für neue Technologien scheint zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor zu werden. Open Innovation scheint ein entscheidender Faktor zu werden, um künftig im Wettbewerb bestehen zu können.
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