Deutschlands Unternehmer sind führend bei Innovationen. „Es ist alles da“, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), damit Deutschland „Digitalweltmeister“ wird. Im Interview prognostiziert er, dass sich die elektronische Vernetzung auch im Gesundheitswesen etablieren wird.
Die Fragen stellte Dr. Stephan Balling
Herr Minister Spahn, andere Länder sind weiter als Deutschland in der Digitalisierung … – was können wir tun?
Als erstes müssen wir unsere Einstellung und Ziele ändern. Stellen Sie sich vor: Deutschland wird Digitalweltmeister. Viele schütteln den Kopf, wenn man das sagt. Aber warum eigentlich? Die deutschen Unternehmer sind risiko- und innovationsfreudig. Geht es um Innovation, sind wir besser als alle anderen: bei Forschungsausgaben, Patenten, wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Es ist alles da. Diese Ausgangslage sollten wir doch für die Digitalisierung nutzen. Dafür müssen wir die Kräfte stärker bündeln, etwa bei Forschungsförderung und Investitionen. Mit der KI-Strategie der Bundesregierung sind wir auf dem richtigen Weg, um Deutschland als Standort für die Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien nach vorn zu bringen. Vor allem aber brauchen wir gute Rahmenbedingungen für Marktwirtschaft, in der sich Unternehmergeist entfalten kann. Bei der Digitalisierung sind das zum Beispiel die Funknetze: Wie schaffen wir es, in allen Landesteilen stabiles 5G-Netz hinzubekommen? Ein Netz, mit dem wir dann auch E-Health unfallfrei praktizieren können! Es gibt Projekte wie den Telenotarzt in Aachen, die wären in manchen Gegenden noch gar nicht machbar, mangels Mobilfunk.
Bremst der Datenschutz Deutschland aus?
Nein. Ich bin überzeugt: Datenschutz made in Europe, made in Germany, kann künftig sogar ein Standortvorteil werden. Aber wir müssen die Informationstechnologien ganz für uns annehmen, wenn wir bei Forschung und Datennutzung China und USA künftig auf Augenhöhe begegnen wollen – oder, noch besser, mit unseren Qualitätsmaßstäben über andere hinauswachsen. Datennutzung wie in China, mit einem alles beherrschenden Staat, wollen wir nicht. Aber Datennutzung wie in den USA, ohne große Einschränkung, auch nicht. Wir wollen Wertschöpfung, aber im Rahmen unserer Wertvorstellungen. Wir müssen bei Digitalisierung und E-Health den Anspruch haben, selbst Standards zu setzen.
Wie steht es um die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens?
Auf diese Frage erntet man vielerorts ein müdes Lächeln. Die elektronische Gesundheitskarte etwa gilt als der BER des Gesundheitswesens. Zu lange wurde abgewartet, lamentiert, blockiert. Wollen wir die Menschen von den Vorteilen der Digitalisierung überzeugen, müssen wir endlich konkrete Fortschritte sehen. Klar ist: Die digitale Infrastruktur für das Gesundheitswesen kommt. Mehr als 100.000 Arztpraxen sind inzwischen an die Telematikinfrastruktur angeschlossen. Die Pflege und weitere Gesundheitsberufe binden wir ebenfalls in die Struktur ein. Nicht sofort, aber so schnell wie möglich. Bald werden Versicherte Notfalldaten und Medikationsplan auf ihre Gesundheitskarte speichern lassen. Spätestens ab Anfang 2021 soll auch die elektronische Patientenakte für alle gesetzlich Versicherten zur Verfügung stehen. Alle, die das wollen, können sie nutzen. Befüllt mit Daten von allen behandelnden Ärztinnen und Ärzten. Und per Smartphone zugänglich. Damit könnten unnötige Doppeluntersuchungen und Vielfachanamnesen entfallen. Ärztliche Entscheidungen werden für Patienten nachvollziehbarer. Evidenzbasierte Medizin bekommt größere Durchsetzungskraft.
Und wichtig ist: Es entstehen mehr Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Behandlern und Patienten. Auch die Telemedizin kommt in Bewegung – immer mehr Ärzte wollen die Fernbehandlung. Die Videosprechstunde muss selbstverständlich werden, flächendeckend, für alle Patienten, für alle Krankheitsbilder, auch im Pflegeheim, und einschließlich der Ausstellung von elektronischen Rezepten.
Wenn Ärzte und Patienten erst einmal konkret erfahren, welche Vorteile es für sie hat, wenn die Kommunikation in der Versorgung einfacher wird, wenn umständliche Papierprozeduren entfallen, wenn wichtige Gesundheitsinformationen im richtigen Moment am richtigen Ort zur Verfügung stehen, wenn man Zeit und Wege sparen kann – dann wächst auch die Bereitschaft für weitere Veränderungen. Hier kann richtig viel entstehen, wenn zugleich auch die Unternehmen umdenken: sich vom Denken in Produkten, Komponenten und Technologien ein wenig lösen und sich den Mehrwerten zuwenden, die daraus für die Patienten, für die Ärzte, für die Gesundheitsversorgung entstehen können.