Mock-up fürs Patientenhotel

Tüfteln bis ins letzte Detail: Wie ein „Mock-Up“ im thüringischen Eisenberg eine Klinik vor vielen Fehlern bewahrte – und die Mitarbeiter stolz gemacht hat.

Von Hendrik Bensch

Nein, bedrohlich sieht das Gebäude auf dem Gelände der Waldkliniken Eisenberg wahrlich nicht aus. Helle Holzbretter umschließen die Außenwände. Breite, bodentiefe Fenster lassen viel Licht hinein. Von außen ist der warme Schein kleiner Lampen im Innern zu sehen. So wie es dort steht – umrahmt von Hecken und Bäumen und mit einer weißen Sitzbank daneben – könnte es auch als Ferienhäuschen durchgehen. Und dennoch: Als das Gebäude vor zwei Jahren auf dem Gelände der Fachklinik für Orthopädie in Thüringen Gestalt annahm, gefiel das einigen Mitarbeitern zunächst gar nicht. Warum wird Geld für solch ein „Monstrum“ ausgegeben, ist das nötig? So hätten es damals einige Mitarbeiter gesehen, erzählt Klinik-Geschäftsführer David-Ruben Thies. 

Heute sind die Beschäftigten stolz darauf, was sie in dem Gebäude geschafft haben. Und Thies ist sich sicher: „Das war die beste Investition, die wir eingehen konnten.“

Das Gebäude, das im Vorfeld so skeptisch gesehen wurde, ist ein sogenanntes Mock-up: ein 1:1-Vorführmodell. Im Innern hat Geschäftsführer Thies mithilfe von Mitarbeitern und Patienten bis ins letzte Detail mehr als ein Jahr am perfekten Klinikzimmer getüftelt. Ein Probezimmer für gesetzlich Versicherte, eines für privat Versicherte sowie ein Flurstück finden sich darin. Sie sind die Blaupausen für die Räume im Neubau des Bettenhauses, das gerade auf der gegenüberliegenden Seite des Klinikgeländes entsteht. Das Testlabor hat den Eisenbergern nicht nur geholfen, zig Fehler im späteren Bau zu vermeiden und dadurch viel Geld zu sparen. Beim Tüfteln sind auch neue Prozesse und Partnerschaften entstanden. 

Die Mock-up-Idee ist generell nicht neu: Unternehmen in anderen Branchen, wie etwa der Luftfahrt, setzen Vorführmodelle seit Langem ein. Auch Klinikbetreiber nutzen sie, um Probleme im Vorfeld ausfindig zu machen. Häufig dienen jedoch einfache Spanplattenbauten dazu, die Grundrisse zu prüfen. Manche lassen auch ein Testzimmer bauen. Doch in Eisenberg gingen die Tüftler noch einen Schritt weiter: Von der Putzkraft bis zum Chefarzt brachten Mitarbeiter Ideen ein, damit die Zimmer später einmal den Bedürfnissen der Patienten und Beschäftigten gerecht werden. Vom genauen Schnitt der Räume bis hin zum Möbelbezug, vom Handlauf im Flur bis hin zum Türgriff stellten sie alles auf die Probe. Den gesamten Tagesablauf spielten sie mit Patienten durch. „Es gab tausend kleine Details, die Mitarbeitern aufgefallen sind“, sagt Thies.

Von der Putzkraft bis zum Chefarzt brachten Mitarbeiter Ideen ein, damit die Zimmer später einmal den Bedürfnissen der Patienten und Beschäftigten gerecht werden. Vom genauen Schnitt der Räume bis hin zum Möbelbezug, vom Handlauf im Flur bis hin zum Türgriff stellten sie alles auf die Probe. 

Da war zum Beispiel Marco Zesing, der nicht umsonst den Spitznamen „Spielverderber“ hat, wie er lachend erzählt. Er ist in den Waldkliniken für das Thema Hygiene zuständig. Und so schaut er schon von Berufs wegen ganz genau darauf, wo es später einmal Probleme geben könnte. Er legte unter anderem ein Veto gegen die große Lampe im Wintergarten ein, der an die Patientenzimmer angrenzt. Der Lampenschirm war nach oben hin offen. Und so konnte sich Marco Zesing nur allzu gut ausmalen, was an Sommerabenden passieren würde, wenn die Patienten die Fenster geöffnet lassen. „Das ist ja schön, wenn es im Eisenberger Wald bald keine Insekten mehr gibt“, frotzelte der Hygiene-Experte – und konnte sich schon bildlich die Mückenhaufen im Lampenschirm vorstellen. „Wie soll die Lampe dann gesäubert werden?“ Also musste eine andere her. Keine Chance hatte auch ein Tisch mit Granitplatte, den Zesing testweise mit Kaffee, Cola und Desinfektionsmittel traktierte – und der dadurch orangefarbene Flecken bekam. Durchgefallen: Der Nächste, bitte!

„Das Grundprinzip des Mock-ups ist genial“, sagt Zesing. „Hier kann ich schon vorher meckern und muss es nicht erst im Nachhinein tun“, erzählt er mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht. Und diese Einwände von ihm und seinen Kollegen zahlen sich vielfach aus. So wie etwa bei der Schiebetür im Wintergarten, die später einmal den Blick gen Wald öffnen sollte. „Beim Testen haben wir gemerkt: Schon dem Techniker fiel es schwer, die Tür zu bewegen“, sagt Geschäftsführer David-Ruben Thies. Wie sollte es dann einem Patienten ergehen, dessen Schulter gerade operiert wurde? Also ersetzten die Eisenberger Tüftler die Schiebetür durch ein großes Flügelfenster. Sie verwarfen dadurch nicht nur ein Element, das den Patienten enorme Probleme bereitet hätte. Sie sparten obendrein fast 300.000 Euro ein. Denn das Fenster lässt sich wesentlich leichter einbauen, warten und pflegen als die Schiebetür.

Heute sind die Beschäftigten stolz darauf, was sie in dem Gebäude geschafft haben. Und Thies ist sich sicher: „Das war die beste Investition, die wir eingehen konnten.“

Da Elemente aus dem Mock-up, wie das Fenster, später im Neubau des Bettenhauses zigfach wieder auftauchen, summieren sich die Einsparungen. Die Investition in den Bau und die Änderungen am Testgebäude von etwa 600.000 Euro hätten sich deswegen allemal gelohnt, sagt Thies. „Was wir reingesteckt haben, haben wir um ein Vielfaches wieder gutgemacht.“

Wenn Toren Böhnel deutlich machen will, was das Mock-up bewirkt hat, erzählt der Leiter des Kapazitäts- und Pflegemanagements gerne eine der Legenden, die sich um Apple-Gründer Steve Jobs ranken. Als Mitarbeiter ihm damals den Prototypen des MP3-Players iPod zeigten, hielt der Tech-Visionär ihn für zu groß. Kleiner geht es nicht, entgegneten ihm die Entwickler. Jobs überlegte einen Moment, nahm den iPod und versenkte ihn in einem Aquarium. Als kleine Wasserblasen aufstiegen, zeigte Jobs darauf und sagte: „Das heißt, da ist noch Platz. Macht ihn kleiner!“

Immer wieder testen, verwerfen und neu entwickeln – das hat nicht nur die Gestaltung komplett verändert, sondern teilweise auch ganze Prozesse im späteren Tagesablauf. Zum Beispiel das Frühstück. 

„Da geht noch was!“ – das sei das Motto, das man aus der Geschichte für Innovationen ableiten könne, findet Böhnel. „Und so ist es auch beim Arbeiten im Mock-up.“ Immer wieder testen, verwerfen und neu entwickeln – das hat nicht nur die Gestaltung komplett verändert, sondern teilweise auch ganze Prozesse im späteren Tagesablauf. Zum Beispiel das Frühstück. Auch hierzu machten die Eisenberger einen Testlauf mit Patienten. Erkenntnis Nummer 1: Wenn die Pflege den Tisch fürs Frühstück eindeckt, ist zu wenig Platz für all die Teile, die sich die Patienten bestellen können. Erkenntnis Nummer 2: Das Eindecken kostete viel Zeit. Also stellten die Eisenberger das Frühstückskonzept komplett um: Statt vieler Einzelelemente gibt es nun standardisierte Angebote auf einem Teller, wie etwa ein französisches oder italienisches Frühstück. Langwieriges Eindecken ist nicht mehr nötig. Positiver Nebeneffekt: Durch die standardisierten Angebote kann die Küche ihre Bestellungen besser im Voraus planen. 

Ohne, dass es anfangs geplant war, ist das Mock-up außerdem zum Testlabor für Partner aus der Industrie geworden. Denn für bestimmte Anforderungen fand Thies kein Produkt, das seinen Ansprüchen gerecht wurde. Also ließ er Partner aus der Industrie Testprodukte nach seinen Vorstellungen herstellen, und die Eisenberger übernahmen den Nutzertest. So ist beispielsweise ein neuer Sessel mit einem abwaschbaren Überzug entstanden. Auch ein Beistelltisch mit einer Induktionsschleife zum Aufladen des Handys ist bei der Zusammenarbeit herausgekommen. „Der Industriepartner hat dadurch ein neues Produkt, das er auf dem Markt verkaufen kann“, erzählt Thies. „Und wir haben kostenlose Dummys bekommen.“ Wenn die Produkte in Serie gehen, soll zudem für jedes verkaufte Produkt Geld in die Kasse des Fördervereins der Waldkliniken fließen.

Das Testen im Mock-up war aber nicht nur in finanzieller Hinsicht ein Gewinn. Mit dem Mock-up ließen sich auch Bedenken im Vorfeld entkräften. „Die größte Angst bei unseren Mitarbeitern war am Anfang, dass wir rund bauen“, sagt Geschäftsführer Thies. Lassen sich dann noch die Betten gut durch den Flur manövrieren? Also schoben die Mitarbeiter Betten durch das Testflurstück und es zeigte sich: kein Problem. „Da hat sich die Angst sofort wieder gelegt“, erzählt der Geschäftsführer.

Mittlerweile sind die Bedenken anderen Gefühlen gewichen. „Schlicht Stolz“, sagt Toren Böhnel. „Vorfreude“, sagt David-Ruben Thies. Denn schließlich konnte jeder Mitarbeiter etwas einbringen, das sich nun im Neubau wiederfinden wird. „Das ist auch mein Haus“, so sähen es mittlerweile viele Mitarbeiter, sagt Thies. Ein ziemlich sympathisches, produktives Monstrum also, dieses Mock-up. 

Das Patientenhotel

Jede Anregung von Mitarbeitern und Patienten im Mock-up kommt künftig den Patienten im Neubau des Bettenhauses in Eisenberg zugute. Die Idee hinter dem Neubau: Eine Klinik im Stile eines Hotels. Die Fassade besteht ausschließlich aus Glas und Holz. An jedes Zimmer grenzt ein Wintergarten an, aus dem man in den Wald schauen kann. Und im begrünten Innenbereich des Rundbaus befindet sich ein Restaurant: Hier können sich die Patienten nicht nur zum Essen, sondern abends auch zum Tatort- oder Fußball gucken treffen.