Die Cleveland Clinic gilt seit Jahren als eines der besten und innovativsten Krankenhäuser Amerikas. Was machen die Manager in Ohio anders? Sie richten ihre Prozesse streng nach den Bedürfnissen der Patienten aus. Basis bildet eine konsequente Patients-First-Kultur.
Von Dr. Stephan Balling
Der Patientenpfad beginnt mit einer roten Jacke
In der großen Lobby der Cleveland Clinic im Norden des US-Bundesstaates Ohio stehen die „Red Coats“, wie sie hier liebevoll genannt werden, die Damen und Herren in rotem Jacket, weißem Hemd und schwarzer Hose unter der großen Tafel, auf der in zahlreichen Sprachen „Willkommen“ steht. Draußen klopft an diesen Novembertagen der Winter an die Tür, die Temperaturen liegen nur knapp über dem Gefrierpunkt. Patienten, Besucher und Mitarbeiter passieren am frühen Morgen die große Brunnenanlage vor dem Eingang zum modernen Hauptgebäude des großflächigen Krankenhauskomplexes. In der Lobby, noch vor dem Tresen, begrüßen sie freundliche „Rotjacken“ mit dem typisch amerikanischen „how are you today“ oder „can I help you“. Ihre Aufgabe: Patienten, die sich nicht zurechtfinden, den Weg zu weisen. Fast überall auf dem großen Klinikkomplex mit 60 Gebäuden auf fast 700.000 Quadratmetern ist einer der Helfer in Sichtweite, um Patienten zu helfen, die sich gerade nicht zurechtzufinden, oder die aufgrund ihres Gesundheitszustandes dankbar für eine Begleitung sind.
„Patients first“ lautet das Motto der Cleveland Clinic, die als eines der besten Krankenhäuser Amerikas gilt, im Beckerʼs Hospital Ranking der innovativsten US-Kliniken liegt sie auf Platz zwei. Alles, was an der Cleveland Clinic passiert, soll auf eine möglichst positive Erfahrung der Patienten zielen. User Experience steht im Mittelpunkt. Dabei geht es um Prozesse, aber vor allem um eine Kultur, ein Gefühl. Das 100 Prozent patientenorientierte Denken in den Köpfen aller Mitarbeiter zu verankern, ist Aufgabe von Dr. Adrienne Boissy. Die Neurologin hat seit fünf Jahren eine Funktion inne, die in deutschen Krankenhäusern – und sicher auch in vielen amerikanischen – noch nicht existiert. Im Vorstand des Klinikkonzerns mit Standorten in den US-Bundesstaaten Ohio, Nevada und Florida sowie im kanadischen Toronto, in London und Abu Dhabi ist sie für Patientenerfahrung verantwortlich, als Chief Experience Officer (CXO). „Die Bewegung, die Patientenerfahrung in den Mittelpunkt zu stellen, begann vor zehn Jahren“, sagt die Ärztin, die seit 18 Jahren am Main Campus der Cleveland Clinic in Ohio arbeitet. Seit dem Jahr 2014 ist sie auch Chefredakteurin des „Journal of Patient Experience“. Bis dato habe es in den USA kein Krankenhaus gegeben mit einem Patient Experience Officer im Topmanagement, sagt Dr. Boissy. „Das war eine bedeutende Geste“, erinnert sie sich. Der damalige CEO des Krankenhauses, Toby Cosgrove, habe die Aufgabe im Topmanagement verankert, damit „Patients first“ im Klinikalltag wirklich Toppriorität sei. „Wie lebt man das, wie atmet man das?“, darum sei es gegangen, sagt Dr. Boissy.
In hellen, nicht übermäßig großen Büro mit Glaswänden getrennt, sitzen die Führungskräfte der Cleveland Clinic gemeinsam auf einem Stockwerk. In die Büros passen jeweils ein Schreibtisch, der direkt am Fenster steht, und ein kleiner Konferenztisch. Offen, modern, lichtdurchflutet, aber keine Statussymbole – wozu auch, die dienen schließlich nicht dem Patientenwohl. In so einem Büro sitzt auch Prof. Dr. Ed Sabanegh. Der weltweit renommierte Urologe ist President des Cleveland Main Campus, leitet also den Klinikkomplex am Standort Cleveland.
Auf die Frage, was die Cleveland Clinic so besonders macht, spricht er über den „reinen Auftrag“ („pure mission“) – die Versorgung von Patienten in Form einer gemeinnützigen Organisation, geleitet und im Eigentum von Ärzten. „Jede Führungsrunde hier beginnt mit den Themen Qualität, Sicherheit und Patientenerfahrung“, sagt er. „Sie beginnt nicht mit Finanzfragen.“ Seine Überzeugung: Wenn die Patienten gut versorgt würden, dann wachse die Organisation von alleine und sei erfolgreich. Bis dato scheint das zu stimmen. Auf dem Weg durch das Krankenhaus zeigt sich immer wieder: Alle Kapazitäten laufen unter Volllast. Beispiel: Das Krankenhaus besitzt sieben Linearbeschleuniger für Strahlentherapie, an einem Freitagmittag sind alle im Einsatz. Leere Patientenzimmer? Echte Mangelware. Jeder Patient, der nicht stationär aufgenommen werden muss, ist somit ein Erfolg.
Wir fokussieren wirklich auf den Patientenbedarf“, sagt Prof. Sabanegh und verweist auf die drei Aufträge: „Patientenversorgung, Ausbildung von Ärzten, Pflegekräften und medizinischen Technikern, sowie Innovation und Forschung.“ Stolz berichtet er, dass hier gerade die weltweit erste roboterbasierte Entnahme einer Niere eines Lebendspenders gelungen sei. „Besonders stolz sind wir aber, dass wir die Frage des Erlebnisses des Patienten im Krankenhaus vorantreiben.“ Daran arbeite die Klinik: zu verstehen, was deren Bedürfnisse seien. „Wir fokussieren uns auf die Gesundheit der Bevölkerung.“ Das Ziel sei, dass Patienten gar nicht erst ins Krankenhaus müssten. Prof. Sabanegh spricht von „Population Health“.
Im optimalen Fall bekommt ein Patient gar keinen „Redcoat“ zu sehen, weil er ambulant außerhalb des Krankenhauses gesund gehalten wird oder telemedizinische Leistungen abruft. Dafür gibt es die „Cleveland Clinic Express Care® Online app“. „Diese Plattform ermöglicht es Patienten, ihren Arzt live mit ihrem Smartphone, Tablet oder Computer zu sehen“, heißt es auf der Website der Klinik, selbstverständlich immer mit Blick auf die Patientenerfahrung.
- Erfolg per „Patient Experience“
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