Apps zum Fruchtbarkeitstracking oder Online-Beratungen zur Frauengesundheit: Femtech-Produkte und Dienstleistungen sorgen dafür, dass Bedarfe von Frauen stärker berücksichtigt werden. Der Markt hierfür dürfte künftig stark wachsen – und das Angebot dabei zu einer geschlechterspezifischeren Versorgung beitragen.
Von Lisa Korte und Thea Kreyenschulte
FemTech: Der Begriff setzt sich aus den englischen Wörtern „female“ und „technology“ zusammen. Er beschreibt eine Kategorie aus Software, Diagnostik, Produkten und Dienstleistungen, die in Form digitaler Lösungen die Gesundheit von Frauen fokussieren. Dies können zum Beispiel Apps oder Wearables zur Überwachung der Periode oder Begleitung in der Schwangerschaft sein. Sie alle haben das Ziel, den allgemeinen Gesundheitszustand von Frauen zu verbessern.
Der Ausdruck Femtech ist längst bekannt, der Markt keine Nische mehr. Seitdem Ida Tin, Gründerin der Menstruations-App Clue, den Begriff vor einigen Jahren geprägt hat, hat sich die Femtech-Branche stark weiterentwickelt. Unter den zugehörigen Produkten sind digitale Innovationen zu verstehen, welche die Gesundheit der Frau adressieren sollen. Denn es liegt auf der Hand, dass physiologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern bestehen – diese werden bisher in der Gesundheitsversorgung jedoch nur unzureichend berücksichtigt, insbesondere solche hormoneller Art. Beispiele für digitale Femtech-Produkte sind Apps und Wearables im Kontext von Fruchtbarkeit, Zyklus und Schwangerschaft, aber auch E-Commerce-Produkte wie Nahrungsergänzungsmittel.
Das Marktpotenzial ist groß: Der weltweite Umsatz mit Femtech-Produkten wird bis zum Jahr 2025 auf 50 Milliarden US-Dollar steigen, schätzt das Marktforschungsunternehmen Frost & Sullivan. Dabei umfassen Angebote nicht nur Wellness- oder Lifestyle-Produkte. Sie sind teilweise auch bereits Bestandteil der medizinischen Versorgung. Hierher schaffen es bisher jedoch nur wenige Produkte: 19 gesetzliche Krankenkassen und private Krankenversicherungen erstatten zum Beispiel die die Kosten für die Schwangerschafts-App Keleya. Da Femtech ökonomisch und in der Versorgung bedeutsamer wird, könnte das dazu beitragen, dass auch die Notwendigkeit genderspezifischer Versorgung stärkere Beachtung findet. Dabei werden schnell grundlegende Herausforderungen deutlich: sowohl bezogen auf finanzielle Mittel als auch eine solide Datengrundlage. Femtech wird nicht, wie einige Zeit angenommen, unterschätzt – sondern ist vielmehr unterfinanziert.
DIE DEUTSCHE FEMTECH-LANDSCHAFT
Innerhalb der letzten Jahre haben sich Start-ups in der Femtech-Branche diversen Themen gewidmet. Im Bereich der Reproduktionsmedizin finden sich beispielsweise Avery und Leila, zwei Start-ups, die sich unter anderem mit Fruchtbarkeitsdiagnostik und Social Freezing beschäftigen – also dem vorsorglichen Einfrieren unbefruchteter Eizellen, um Frauen selbstbestimmte Zeiträume für eine Schwangerschaft zu ermöglichen. Im Bereich der Onkologie entwickeln die Start-ups PINK! und Happie Haus digitale Angebote für Frauen mit Brustkrebs. Being female ist ein Start-up, das sich dem Feld der Sexual Awareness (sexuelle Selbstbestimmung) widmet.
Die weltweite Femtech-Landschaft wächst stetig und entwickelt sich rasant. Auf dem deutschen Markt sind derweil überwiegend Unternehmen zum Thema Zyklus und Fruchtbarkeit aktiv. Sie haben beispielsweise Tracking-Apps, Wearables und Vergleichsportale wie etwa für Verhütungsmittel entwickelt. Die Reproduktionsmedizin ist ein noch junger, aber mittlerweile fester und vielversprechender Bestandteil dieser Rubrik. Während das Team von Kinderheldin mit seinen Online-Kursen ein Beispiel für das Feld Schwangerschaft und Geburtsvorbereitung ist, bieten Unternehmen wie Femna Health Telemedizin und Online-Beratungen zur Frauengesundheit sowie Testkits für Zuhause. Zuletzt sind auf dem deutschen Femtech-Markt Start-ups zu finden, die sich Menstruations-Konsumgütern und der Sexual Awareness widmen.
TREND FÜR MINDERHEIT ODER VERSORGUNG DER ZUKUNFT?
Es wird deutlich, dass Femtech insbesondere Marktpotenziale nutzt, die sich an Frauen in der reproduktiven Lebensphase richten. Dabei geht es meist um Themen der Hormon- und Sexualgesundheit, um Schwangerschaft und Geburt beziehungsweise die Verhütung dieser. Indikationsbezogene Themenbereiche sind im deutschen Femtech-Markt aktuell noch wenig repräsentiert. Während Innovationen für Frauen in der Menopause vorwiegend in den USA in den Markt treten, werden Patientinnen hierzulande noch sehr selten von Start-ups etwa durch digitale Tracking-Angebote sowie Unterstützung mittels Supplements oder Communitys angesprochen.
In das Angebot und die Nutzung von Femtech-Angeboten spielt generell die geschlechterspezifische Sensibilisierung für die Themen Gesundheit und Wohlbefinden mit hinein. Mit diesen Themen beschäftigen sich Frauen bekanntermaßen umfangreicher als Männer. Ein Grund dafür ist: In der Forschung und somit auch der Entwicklung und dem Angebot medizinischer Behandlungsoptionen werden sie häufig immer noch unzureichend berücksichtigt. Bei Gesundheitsbelangen einer so großen Gesellschaftsgruppe wie Frauen handelt es sich jedoch um tatsächliche Bedarfe, die Berücksichtigung in der Versorgung finden sollten, um Patientinnen adäquater zu adressieren. Trotzdem werden bisher nur wenige Femtech-Lösungen auch regelhaft in der Gesundheitsversorgung erstattet und angeboten, was gesundheitsbewusste, finanziell stabile Zielgruppen im Selbstzahlendenmarkt zur Zielgruppe innovativer Anwendungen macht. Diese wiederum sorgen mit ihrem persönlichen Invest und häufig auch der (freiwilligen) Datenspende für Forschung und Entwicklung – ein Bereich, in dem aktuell ein Großteil der Daten von Männern stammt.
UNTERFINANZIERT STATT UNTERSCHÄTZT
Auch unter Investorinnen und Investoren sind vorwiegend Männer zu finden. Sie haben wenige Berührungspunkte mit digital-gestützten Lösungen rund um die weibliche Gesundheit. Das führt zur Unterfinanzierung von Femtech – trotz großer Kaufkraft der weiblichen Zielgruppe. Bei der Entwicklung und Verbreitung innovativer Lösungen hat die Gewinnung von Geldgeberinnen und Geldgebern und entsprechendem (Risiko-)Kapital aber Priorität. Die Venture-Capital-Investitionen für Femtech-Angebote lagen jedoch trotz konstanter Zunahme in 2021 weltweit bei nur rund einer Milliarde US-Dollar. Zum Vergleich: Allein in den USA lag das Finanzierungsvolumen für sämtliche Digital-Health-Startups im vergangenen Jahr bei über 29 Milliarden US-Dollar.
Die mangelnden Investitionen können letztlich dazu führen, dass die Produkte und Dienstleistungen nicht in die Regelversorgung gelangen. Denn die Aufnahme in die Regelversorgung ist ein langwieriger, aufwendiger und kostspieliger Prozess. Hinzu kommt, dass die Basis dieses Prozesses ein nachgewiesener Nutzen und somit ausreichende Forschung ist. Dem noch jungen Femtech-Markt mangelt es jedoch an Langzeitstudien, insbesondere aufgrund der ohnehin lückenhaften Datenlage, begründet in der Unterrepräsentativität von Frauen in klinischen Studien. Dieses Problem will seit einigen Jahren nun auch die Bundesregierung angehen und fördert die Berücksichtigung gesundheitlicher Besonderheiten des Geschlechts in der Gesundheitsforschung – mit insgesamt jedoch lediglich 3,5 Millionen Euro.
FEMTECH-FOKUS DECKT ZUGLEICH VERSORGUNGSLÜCKEN AUF: EIN AUSBLICK
Alles in allem sind die Aussichten für Femtech-Lösungen gut: Trotz unzureichender Finanzierung sind frauengeführte oder gemischte Start-ups auf Dauer nachweislich erfolgreicher. Und abgesehen davon, dass über die Hälfte der Weltbevölkerung Frauen sind, Bedarf an gesundheitlichen Angeboten existiert und durch die deutsche Femtech-Landschaft abgebildet wird, eröffnen solch spezifische Angebote wie die des Femtech generell das Potenzial genderspezifischer Versorgung sowie deren längst überholte Notwendigkeit.
Nachdem wir heute wissen, dass beispielsweise Medikamente in Bezug auf das biologische weibliche und männliche Geschlecht unterschiedlich wirken und, dass es weiterhin nicht nur diese zwei Geschlechter gibt, geht kein Weg mehr an einer individuellen, genderspezifischen Versorgung vorbei. Aktuell lässt die Entwicklung im Femtech-Sektor vermuten, dass die zugehörigen Produkte ein Schritt in Richtung genderspezifischer oder sogar gendersensibler Versorgung sind – sprich der offenen und bedürfnisorientierten Berücksichtigung aller Individuen. Dabei sind die digitalen Lösungen aus dem Femtech-Bereich speziell an Frauen und hier vor allem an diejenigen in der reproduktiven Lebensphase adressiert, jedoch noch keineswegs gendersensibel. Und auch, wenn einige Produkte in der gesundheitlichen, medizinischen Versorgung ihren Platz gefunden haben, stehen andere größtenteils noch unter dem „Lifestyle-Stern“ und werden hauptsächlich von einer jungen, privilegierten, weiblichen Kaufgruppe angenommen.
Nichtsdestotrotz sorgt Femtech für die Aufmerksamkeit dafür, dass nicht alle Geschlechter in der Versorgung gleichbehandelt werden sollten, aber gleichwertig versorgt werden müssen. Daraus kann sich womöglich eine genderspezifische und vielleicht sogar irgendwann -sensible Versorgung entwickeln, die ganzheitlich im Sinne personalisierter Medizin erfolgt. Hierbei sollte es jenseits von Menstruation, Schwangerschaft oder Menopause um ganz generelle Versorgungsbereiche wie die Behandlung chronischer Erkrankungen gehen – auf physischer, psychischer und sozialer Ebene.
Lisa Korte und Thea Kreyenschulte sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Lehrstuhl für Management und Innovation im Gesundheitswesen der Universität Witten/Herdecke.
Photo by LUMEZIA on Shutterstock