„Ohne Wartelisten, wundgewählte Finger und schlechtes Gewissen“
Damit mehr Frauen in Führungspositionen kommen können, brauchen wir in Deutschland eine Kultur der selbstverständlichen und verlässlichen Kinderbetreuung, sagt Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. Erst dann hätten Mütter und Väter eine echte Wahl.
Was waren rückblickend die wichtigsten Ereignisse und Entscheidungen in Ihrer beruflichen Karriere?
Die wichtigste Entscheidung war gar keine, denn für mich war es selbstverständlich, dass ich nicht zwischen Familie oder Karriere entscheiden wollte. Das war und ist sicher nicht immer leicht, aber es geht. Und es macht unglaublich viel Freude, beruflich an verantwortungsvoller Stelle gestalten zu können und eine tolle Familie zu haben! Die wichtigste berufliche Entscheidung war die für die gesetzliche Krankenversicherung, als ich vor vielen Jahren zu einer Krankenkasse gegangen bin. Ich wollte nicht mehr die Prozesse und Strukturen Dritter begleiten, sondern selbst gestaltend tätig sein.
Was waren die größten Hindernisse auf dem Weg in eine Führungsposition und wie haben Sie diese überwunden?
Für mich persönlich war der „Karriereweg“ kein Hindernisrennen, sondern eher ein Langstreckenlauf mit hohem Tempo. Dabei kam es darauf an, das Selbstvertrauen zu haben und weiterzugehen, wenn man mal etwas kurzatmig ist. Und gleichzeitig zu wissen, dass Pausen auf dem Weg eher selten sind. Dies als Herausforderung und nicht als Bedrohung zu sehen, war für mich der Schlüssel.
Welche persönlichen Stärken haben Ihnen auf dem Weg nach oben geholfen?
Ich glaube, dass jede Führungskraft den Mut haben muss, neue Wege zu gehen, auch wenn der Erfolg nicht sicher ist. Auf unsicherer Faktenlage zügig zu entscheiden und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen sind weitere Eigenschaften, die notwendig sind. Mein Eindruck ist, dass mir diese Dinge liegen.
Was müsste sich Ihrer Ansicht nach in der Arbeitswelt grundsätzlich ändern, damit mehr Frauen in Führungspositionen gelangen?
Die Selbstverständlichkeit, mit der immer noch Frauen beispielsweise die Aufgabe zugeschrieben wird, wegen eines kranken Kindes zu Hause zu bleiben, ist ein Problem. Denn dadurch wird gerade jungen Müttern implizit unterstellt, sie seien unzuverlässig – und damit ein Mann gerade für wichtige Aufgaben besser geeignet. Das ist sowas von überholt! Hier müssen Arbeitgeber endlich umdenken, aber natürlich sollten Eltern dies dann auch entsprechend mit Leben füllen und Gleichberechtigung leben. Aber nur auf die Arbeitswelt zu schauen greift zu kurz. Die vielleicht wichtigste Bedingung muss außerhalb erfolgen: Wir brauchen eine Kultur und Wirklichkeit der selbstverständlichen und verlässlichen Kinderbetreuung in Kitas und Schulhorten. Ohne Wartelisten, wundgewählte Finger und schlechtes Gewissen. Erst dann haben Mütter und Väter eine echte Wahl.
Was würden Sie definitiv anders machen angesichts Ihrer Erfahrungen?
Jede und jeder steht im beruflichen Leben immer wieder vor der Herausforderung, in einer konkreten Situation entweder die Bedürfnisse der Familie oder die Interessen des Arbeitgebers stärker zu gewichten. Mir fallen durchaus ganz persönliche Situationen ein, in denen ich rückblickend die eine oder andere Entscheidung vielleicht nicht komplett anders, aber doch mit einer anderen Schwerpunktsetzung treffen würde.
Stefanie Stoff-Ahnis ist seit 2019 im Vorstand des GKV-Spitzenverbandes. Dort ist sie für die Abteilungen Ambulante Versorgung, Krankenhäuser und Arznei- und Heilmittel sowie den Stabsbereich Vertragsanalyse verantwortlich. Die Juristin war zuvor seit 2006 bei der heutigen AOK Nordost tätig und verantwortete dort zuletzt als Mitglied der Geschäftsleitung das Ressort Versorgung.
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