Gendergerechte Sprache: Effektive Maßnahme oder doch nur Social Washing?

Welche Effekte CSR-Maßnahmen wie geschlechtergerechte Sprache auf Unternehmen und Gesellschaft haben

Von Dr. Katharina Pilgrim, Prof. Dr. Sabine Bohnet-Joschko, Universität Witten/Herdecke

Unternehmen aller Branchen bemühen sich zunehmend um die Beachtung ökologischer und sozialer Aspekte im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit und über diese hinaus. Dass Unternehmen nicht nur kurzfristige Gewinnmaximierung verfolgen, sondern über Produkte, Arbeitsplätze und Steuerzahlungen hinaus ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leisten, hat eine lange Tradition und wird seit den 50er-Jahren als Corporate Social Responsibility (CSR) bezeichnet. Geändert haben sich über die Zeit allerdings die Erwartungen an Unternehmen und das, was als ethisches Handeln verstanden wird.

CSR – „A MOVING TARGET“

Wenn man das Überleben von Unternehmen am Markt als Grundvoraussetzung für die Übernahme von Unternehmensverantwortung ansieht, kann CSR von der Beachtung geltenden Rechts über die Berücksichtigung der jeweiligen gesellschaftlichen Erwartungen bis zu philanthropischem Engagement reichen. Besonders für große Unternehmen geht es längst nicht mehr um die Frage, ob sie sich engagieren wollen, sondern welchen CSR- oder Nachhaltigkeitsstandard sie in der Berichterstattung nutzen, wie sie auf die 17 Sustainable Development Goals (SDG) der Agenda 2030 Bezug nehmen und zu den Kriterien für Umwelt, Soziales und Governance (ESG) berichten.

Unternehmen stehen vor der Frage, wie gut es ihnen insgesamt gelingt, Unternehmens- und CSR-Strategie miteinander zu verknüpfen. In Deutschland verpflichtet seit 2017 das CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz bestimmte Unternehmen, über ihren Beitrag zur gesellschaftlichen Verantwortung als Teil des nachhaltigen Wirtschaftens öffentlich zu berichten. Schon Jahre zuvor sahen Unternehmen sämtlicher Branchen speziell die Kommunikation über Aktivitäten und Ziele zum Wohle der Umwelt als effektive Maßnahme des Stakeholder-Managements sowie als Differenzierungsmerkmal gegenüber Wettbewerbern.

Der Teufel steckt jedoch wie so oft im Detail: Veränderungsprozesse gestalten sich langwierig und sind mit Kosten verbunden – teilweise möchte man im Grunde auch gar nichts wirklich verändern. Der Quick-Fix besteht dann häufig in PR-Methoden, die darauf abzielen, in der Öffentlichkeit als umweltfreundlich und verantwortungsbewusst wahrgenommen zu werden, ohne dass es dafür eine hinreichende Grundlage gibt – oder kurz: Greenwashing. Greenpeace definiert vier konkrete Kriterien, die Greenwashing beschreiben: ein umweltschädliches Kerngeschäft, Mehrausgaben für Marketing über Nachhaltigkeit im Vergleich zum Invest in nachhaltiges Handeln, Lobbyarbeit und das Propagieren des Einhaltens gesetzlicher Vorgaben als umweltfreundliches Handeln, wie zum Beispiel der Verzicht auf Plastiktüten im Einzelhandel. Gleichzeitig wird Nachhaltigkeit jedoch immer mehr zum reinen Hygienefaktor und von einem neuen Megatrend dynamisch verdrängt:

MEGATREND GENDER SHIFT: FARBENLEHRE IN DER CORPORATE SOCIAL RESPONSIBILITY

Stakeholder, darunter Investoren und Aufsichtsbehörden, interessieren sich mehr denn je dafür, wie Unternehmen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter behandeln und ob ihre Produkte und Dienstleistungen den Bedürfnissen der Gesellschaft gerecht werden. Themen wie Diversität und Chancengleichheit sowie Nichtdiskriminierung finden in den Standards der Global Reporting Initiative ihren Platz. Das Zukunftsinstitut prophezeit, dass der Megatrend Gender Shift je nach Bereich und Branche zu einer erhöhten Gender-Sensibilität dauerhaft oder mindestens zur Gestaltung eines Übergangs hin zu geschlechtergerechten und -übergreifenden Ansätzen führen wird. Auf der Suche nach neuen unternehmenspolitischen Maßnahmen zu einer optimalen Positionierung rückt somit das „Social“ in CSR immer stärker in den Fokus der Unternehmensstrategie und -kommunikation. Das übergeordnete Ziel, alle Formen der Diskriminierung von Frauen überall auf der Welt zu beenden, wird positiv formuliert zum Ziel einer wirksamen Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen.

Auch dieser Megatrend bringt zwei grundsätzlich zu differenzierende Strategien hervor: und zwar jene, die einen Veränderungsprozess – verankert in Unternehmenswerten – anstoßen, oder solche, die analog zum Greenwashing reines sichtpolitisches pink, purple oder social Washing betreiben: Wird Gleichberechtigung also auch auf Führungsebene gelebt oder nur in Leitbilder geschrieben und beispielsweise die LGBTQ*-Regenbogenflagge nur in ausgewählten Ländern mit dem Unternehmenslogo gezeigt? Medien, NGOs und zunehmend auch Kunden beobachten
Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen über Social Media vernetzt und verhandeln immer wieder neu, was als authentisch anerkannt und was als schöngefärbt wahrgenommen wird. Dazu gehört auch die Chancengleichheit bei der Übernahme von Führungsrollen in Unternehmen. Hier liegt Deutschland aktuell mit einem Anteil von 28 Prozent an Frauen in Führungspositionen im Jahr 2020 im Vergleich zu den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union im unteren Drittel.

GLÄSERNE DECKEN UND GLÄSERNE ROLLTREPPEN

Warum Frauen seltener in das Topmanagement von Unternehmen aufsteigen, wurde in zahlreichen Studien untersucht. Ein Begründungsansatz beschreibt das Phänomen der homosozialen Kooptation, also der Bedeutung von sozialer Ähnlichkeit oder sozialer Nähe in der Personalauswahl, wobei das Geschlecht ein zentrales Passungskriterium darstellt. Aber auch die Erwartung einer geringeren Durchschnittsproduktivität oder höheren Fluktuation von Frauen aufgrund von Mutterschaft kann zu Karriererestriktionen führen. Und eine strukturelle Dominanz von Männern hat
Einfluss auf die Arbeitskultur mit informellen Praktiken und Regeln. Zudem sind Frauen oftmals in Netzwerken schwächer vertreten und werden auf ihrem Karriereweg weniger gefördert. Insgesamt fehlen häufig auch weibliche Rollenvorbilder. Aufgrund der Subtilität und Nicht-Intentionalität vieler dieser Faktoren wird es als gläserne Decke beschrieben, wenn Frauen nicht in die höchste Ebene des Managements gelangen. Geschlechterrollen-Stereotype können aber auch erklären, warum Männer in Berufen mit hohem Frauenanteil – beispielsweise in der Pflege oder Medizin – schneller in der Hierarchie aufsteigen, quasi auf einer gläsernen Rolltreppe.

Um bestehende Strukturen zu durchbrechen, werden auch in diesem Kontext zunehmend konkrete gesetzliche Vorgaben etabliert. Werfen wir einen Blick auf das Jahr 2021, hier hat sich nämlich einiges getan: Erst im August ist nach der Erstversion 2015 das zweite Führungspositionen-Gesetz in Kraft getreten, dem folgend deutsche Großkonzerne mindestens eine Position im Topmanagement mit einer Frau besetzen müssen. Effekte zeigten sich schnell, sodass 2021 nur noch vier der DAX-30-Unternehmen keine Frau in ihrem Vorstand hatten – vor Gesetzeseinführung waren es noch zehn. Ein Konzern geht sogar einen Schritt weiter: Merck wird seit 2021 als erster DAX-Konzern von einer Frau als CEO geleitet – mit einem zudem 35 prozentigen Frauenanteil unter Führungskräften.

Was tun Unternehmen aber nun über das Erfüllen gesetzlicher Rahmenbedingungen hinaus, um ein wirksames Signal in Richtung Gleichberechtigung von Frauen zu setzen und diese proaktiv zu fördern? Längst haben viele Unternehmen das Thema in ihre Leitbilder und Zielkataloge aufgenommen. Dabei werden Handlungsfelder von der Personalgewinnung über Weiterbildung und Vergütung bis zur Arbeitsorganisation mehr oder weniger systematisch erschlossen. Vor allem durch gezielte Förder- und Mentoringprogramme sollen Frauen auf Führungspositionen vorbereitet werden. Flexible Arbeitszeiten und Modelle geteilter Führungspositionen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Frauenkarrieretage, der Aufbau von unternehmensinternen und die Beteiligung an nationalen und internationalen Frauenkarrierenetzwerken sowie ein gezieltes Scouting nach Quereinsteigerinnen sollen zu einer Erhöhung des Frauenanteils in Topführungspositionen beitragen.

GENDERGERECHTE SPRACHE: EFFEKTIVE MASSNNAHME ODER DOCH NUR SOCIAL WASHING?

Die aktuell wohl am häufigsten geführte Debatte im Kontext von Gleichstellungsmaßnahmen dreht sich um eine gendergerechte Sprache. Reicht die Umstellung auf die Endungen *in und :innen als soziale Verantwortungsübernahme und Zeichen der Förderung wirklicher Geschlechtergleichberechtigung? Oder gehört dies zur Social-Washing Kategorie?

Wissenschaftliche Erkenntnisse zum Effekt von Sprache zeigen ein recht klares Bild: Das generische Maskulinum ist nicht generisch, sondern generiert überwiegend männliche Bilder und versäumt somit, beiden Geschlechtern Rechenschaft zu schulden. Eine Verwendung gleichberechtigter sprachlicher Formen für Männer und Frauen fördert nachweislich eine allgemeine gesellschaftliche Geschlechtergleichstellung. Gleichzeitig leidet die kognitive Verarbeitung von Texten nachweislich nicht. Das Lesen und Hören einer geschlechtergerechten Sprache führt indes zu einer signifikant stärkeren Berücksichtigung von Frauen, ihren Bedürfnissen und deren Sichtbarkeit. Kinder und auch Erwachsene trauen sich zum Beispiel vielfältigere Berufe zu. So fühlen sich Frauen bei geschlechtergerechten Stellenausschreibungen nachweislich stärker angesprochen und bewerben sich demnach häufiger. Langfristig können beide Effekte zu einer ähnlichen Verteilung der Geschlechter im Bewerberpool beitragen und diesen zusätzlich vergrößern, was einen positiven Effekt auf das Unternehmen selbst sowie die gesamte Branche haben könnte.

Der positive Effekt für die Gesellschaft allgemein durch die Nutzung gendergerechter Sprache ist durch Studien gut belegt und kann ein Katalysator der mittel- und langfristigen Änderungen unserer gesellschaftlichen Verhältnisse sein. Für Unternehmen selbst entscheidet die Authentizität dieser Maßnahme innerhalb der Gesamtstrategie über Erfolg oder Misserfolg. Als Social Washing wahrgenommen könnte der Gebrauch gendergerechter Sprache im Gegenteil sogar zu negativen Effekten führen, zum Beispiel zu Widerständen bei Mitarbeitenden oder zum Verlust von Vertrauen bei Anlegerinnen und Anlegern sowie Kundinnen und Kunden. Denn nicht zuletzt geht es auch um Macht und kulturelle Dominanz sowie – weil an die deutsche Sprache gebunden – die nationale Identität.

Für viele und besonders für international tätige Unternehmen stellt sich die Debatte um geschlechtergerechte Sprache als deutsche Besonderheit dar. Wichtiger ist für sie die Frage, ob geschlechtergemischte Teams bessere Leistungen erbringen. Was sagt die Wissenschaft?

DIE MESSBAREN EFFEKTE GESCHLECHTERGEMISCHTER TEAMS

Studien zeigen, dass Unternehmen mit Frauen im Topmanagement durchschnittlich bessere finanzielle Ergebnisse erzielen. Dies gilt besonders, wenn Frauen nicht eine vernachlässigbare Minderheit darstellen, sondern 30 bis 40 Prozent der obersten Führungsebene ausmachen. Denn erst dann können sie einen bedeutenden Einfluss auf Unternehmenskultur und organisationale Innovation nehmen. Daher kann eine Erhöhung der Frauenquote in einer klassisch männerdominierten Branche messbare Vorteile für das Unternehmen liefern.

Untersucht wurde der Beitrag von Frauen auch für einzelne Unternehmensbereiche, etwa für den Bereich Forschung & Entwicklung. Hier konnte die Innovationsleistung sowohl von Einzelpersonen als auch von Teams durch ein ausgewogeneres Geschlechterverhältnis auf Teamebene gesteigert werden. Auch in Finanzfragen zeigen Anlegerinnen und Investorinnen ihre besondere Stärke: Frauen sind aufgrund ihrer höheren Risikoaversion kritischer, weshalb sie zwar weniger, aber langfristig rentabler investieren.

Nicht zuletzt besteht ein positiver Zusammenhang zwischen der Geschlechtervielfalt am Arbeitsplatz und dem beruflichen Wohlbefinden von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie der Corporate Governance des Unternehmens. Eine höhere Frauenquote kann eine Kultur der Offenheit und Wertschätzung für Verschiedenheit fördern und somit wiederum Frauen bessere Chancen für den Aufstieg in die höchsten Führungspositionen eröffnen. Auch Auswirkungen auf die Reputation des Unternehmens, auf Mitarbeitermotivation und Kundenzufriedenheit sind zu beobachten.

NICHT SPRINT, SONDERN MARATHON

Die wirksame Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen und damit auch in Topführungspositionen von Unternehmen ist mit einem soziokulturellen Wandel verbunden, der Abschied von historisch gewachsenen Rollenbildern und Stereotypen braucht Zeit. Unternehmen als korporative Akteure haben erkannt, dass sie sich gesellschaftlichen Erwartungen auch in diesem Handlungsfeld der Corporate Social Responsibility kaum entziehen können, vor allem aber, dass die Gleichstellung der Geschlechter in der Belegschaft und in Führungsteams die Leistung und Innovationskraft der Unternehmung stärken kann. In der ständigen Neukonstruktion des gesellschaftlich Erwarteten können sie dem Vorwurf des „Social Washing“ vor allem durch einen strukturierten Stakeholder-Dialog vorbeugen.