Mehr als zehn Millionen Menschen haben die App von Ada Health bereits heruntergeladen. Um Geld zu verdienen, setzt das Start-up auf Partnerschaften mit Krankenversicherungen, Regierungen und Gesundheitsversorgern. In der Corona-Krise kommen nun auch Arbeitgeber auf das Unternehmen zu. US-Marktforschern zufolge dürfte im Jahr 2025 jeder zweite Patient zuerst einen virtuellen Gesundheitshelfer um Rat fragen – und nicht einen Arzt.
Von Hendrik Bensch
Für ein Start-up ist es eine halbe Ewigkeit: Mehr als fünf Jahre hatten die Gründer von Ada Health an ihrer App getüftelt, bis sie reif für den großen Test war. Doch auch dann wollten die Gründer ganz sichergehen. Bis ans andere Ende der Welt hatte das Unternehmen mit Hauptsitz in Berlin den Start seiner App verlagert, bis nach Neuseeland. „Wir wollten natürlich zunächst einmal in einem kleineren Markt das Produkt testen, auch um zu schauen, ob technisch alles glattgeht“, erzählt Daniel Nathrath, CEO und einer der Gründer von Ada rückblickend. Doch die Sorgen waren unbegründet: Schon wenige Tage nach dem Start wurde die Anwendung in Neuseeland zur populärsten Medizin-App, berichtet der Gründer.
Mit der kostenlosen App können sich Nutzer über mögliche Gründe für ihre gesundheitlichen Beschwerden informieren. Wer die App startet, muss zunächst Fragen zu Symptomen und Risikofaktoren beantworten. Anhand der Infos erfährt man dann, welche Krankheit dahinterstecken könnte. Und das wollen immer mehr Menschen wissen. Zehn Millionen Menschen haben die App weltweit bereits heruntergeladen, etwa alle drei Sekunden nutzt jemand das Programm. Alleine über Googles Play Store haben mehr als 270.000 Nutzer eine Bewertung abgegeben. Damit ist Ada nach eigenen Angaben die weltweit am häufigsten bewertete Medizin-App.
Das Unternehmen ist nicht nur bei Nutzern, sondern auch bei Investoren gefragt: Nach der weltweiten Markteinführung im Jahr 2016 erhielt das Unternehmen bereits im darauffolgenden Jahr 40 Millionen Euro an Risikokapital – und damit eine der größten Series-A-Finanzierungen weltweit in dem Jahr. Seitdem gehört beispielsweise KI-Unternehmer William Tunstall-Pedoe, der Erfinder der Technologie hinter Amazons Alexa, zu den Investoren. Mittlerweile sind mehr als 60 Millionen Euro an Investments zusammengekommen. Der britische Konkurrent Babylon Health hat sogar etwa zehnmal so viel Geld bei Investoren eingesammelt.
Hinter der Multi-Millionen-Bewertung der Start-ups steckt die Annahme, dass Anwendungen wie Ada in Zukunft stark an Bedeutung gewinnen werden. Die Marktforscher der US-Beratung Gartner gehen davon aus, dass im Jahr 2025 jeder zweite Patient zuerst einen virtuellen Gesundheitshelfer um Rat fragen wird – und keinen Arzt.
Apps wie Ada sollen künftig dazu beitragen, Gesundheitssysteme effizienter zu machen, so das Versprechen der Digitalunternehmen. Sie sollen als „digitale Eingangstür“ den Behandlungsweg weisen, wie Nathrath es formuliert – und so helfen, Kosten zu sparen. Als mögliche Partnerschaften, mit denen Ada Geld verdienen möchte, kommen dementsprechend unter anderem Kooperationen mit Krankenversicherungen, Regierungen und Gesundheitsversorgern infrage. So kooperiert Ada beispielsweise mit Sutter Health, einem kalifornischen Gesundheitsversorger mit drei Millionen Nutzern. Die Technologie des Berliner Start-ups dient hier als „Vorfilter“, wenn sich die Kalifornier über die App oder Website von Sutter Health über mögliche Erkrankungen informieren. „Ada soll ihnen helfen, eine Ersteinschätzung zu erhalten“, sagt Daniel Nathrath. Die Nutzer können dann basierend auf den Informationen von Ada einen Termin bei einem Arzt buchen, in dringenden Fällen erhalten sie eine Info zur nächstgelegenen Notaufnahme.
Sutter und Ada haben die Kooperation kürzlich ausgeweitet. Das Ada-Tool und die elektronische Patientenakte des Gesundheitsunternehmens sollen nun stärker miteinander verknüpft werden. Informationen, die ein Patient über Ada eingegeben hat, sollen direkt in die Patientenakte einfließen. Beim nächsten Besuch beim Arzt kann dieser auf die Informationen zugreifen.
Im Frühjahr dieses Jahres ist das Start-up zudem eine strategische Partnerschaft mit Samsung eingegangen. „Samsung überlegt, inwieweit Ada auf seinen Smartphones eingebunden werden kann“, erzählt Daniel Nathrath. Ein Covid-19-Screener von Ada ist bereits in der Samsung Health App in den USA verfügbar. Darüber hinaus stellt das Jungunternehmen Partnern aus der pharmazeutischen Industrie Daten anonymisiert und aggregiert zur Verfügung. Dabei geht es beispielsweise darum, wie häufig Ada eine bestimmte Erkrankung in einem Land erfasst hat. Derzeit verhandelt Ada zudem mit verschiedenen Regierungen über Kooperationen.
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Als Partner setzt Ada auch auf Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen. Sie kommen für Kooperationen in Ländern mit geringen Einkommen infrage, in denen vielen Menschen ein Zugang zur Gesundheitsversorgung fehlt. Zu den Partnern zählen beispielsweise die Bill und Melinda Gates Stiftung oder die Stiftung Botnar aus der Schweiz. Mit der Stiftung Botnar kooperiert Ada unter anderem bei einem Projekt in Tansania. Dabei hat das Start-up Tausende von Fragen, Symptomen und Krankheiten in die Landessprache Suaheli übersetzt und die App auf regional auftretende Krankheiten hin angepasst. Bis Ende des Jahres sollen 1,5 Millionen Menschen erreicht werden. „Parallel sind wir mit dem Gesundheitsministerium in Kontakt, um zu schauen, wie die Integration von Ada ins Gesundheitssystem stattfinden kann“, sagt Hila Azadzoy, Managing Director der „Global Health Initiative“ bei dem Berliner Start-up.
Andere Projekte im Rahmen dieser Initiative zielen auf Regionen ab, in denen nur wenige Menschen ein Smartphone haben. Hier sollen die Ergebnisse, die Ada liefert, das lokale Gesundheitspersonal unterstützen. Auch wenn sich die Projekte im Rahmen der Initiative langfristig finanziell tragen sollen: Wirtschaftliche Aspekte spielten in den Regionen mit schlechtem Zugang zur Gesundheitsversorgung nicht die zentrale Rolle, so Daniel Nathrath. „Wenn wir nur finanzgetrieben wären, wäre das nicht das erste Ziel für uns.“
In Deutschland musste das Start-up Ende vergangenen Jahres einen Rückschlag hinnehmen. Ada hatte bis dahin mit der Techniker Krankenkasse zusammengearbeitet. Wegen Vorwürfen zum Thema Datenschutz ruht die Kooperation. Die Computerzeitschrift „c´t“ und ein IT-Sicherheitsexperte hatten Ada vorgeworfen, personenbezogene Gesundheitsdaten an Facebook und ein weiteres US-Unternehmen übertragen zu haben. Das Start-up widerspricht dem: Natürlich arbeite man mit Drittanbietern zusammen, diese hätten jedoch keinen Zugriff auf persönliche Gesundheitsinformationen.
Durch die Corona-Krise ergeben sich derzeit auch in Deutschland neue Kooperationen. Ada arbeitet an einem neuen Service für Arbeitgeber: Dabei können Mitarbeiter freiwillig den Covid-19-Screener von Ada nutzen. Darüber erfahren sie anhand ihrer Symptome und Risikofaktoren, wie wahrscheinlich es ist, dass sie sich mit dem neuartigen Coronavirus infiziert haben. „Falls bestimmte Risikofaktoren vorliegen oder es angesichts der Symptome ein erhöhtes Risiko gibt, kann sich die Person testen lassen“, erklärt Nathrath. In Berlin arbeitet Ada bereits mit Labor Berlin, dem gemeinsamen Laborunternehmen der Charité und des kommunalen Klinikkonzerns Vivantes zusammen. Mithilfe eines gemeinsamen Tools können Mitarbeiter von Charité und Vivantes via App ihre Testergebnisse erhalten.
Ähnlich soll es auch bei dem Angebot für die Arbeitgeber laufen. Falls ein Test positiv ausfällt, bekommt der Mitarbeiter Informationen an die Hand, wie er sich weiter verhalten sollte. Außerdem werden seine Symptome mithilfe der App überwacht. So soll sichergestellt werden, dass er nicht zu früh wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrt. „Es gibt bereits einige große Arbeitgeber, die wegen des Angebots auf uns zugekommen sind“, sagt Nathrath.
Und so blickt er gerade mit gemischten Gefühlen auf die aktuelle Lage: „Sosehr wir uns auch wünschen, dass die Pandemie so schnell wie möglich wieder verschwindet: Wir sind in einem Bereich tätig, dessen Bedeutung nicht kleiner geworden ist.“
Die Gründer
Ada Health wurde 2011 von Daniel Nathrath (Bildmitte) und Martin Hirsch gegründet, wenig später kam Claire Novorol dazu. Nathrath ist Jurist und Betriebswirt und startete nach dem Studium beim Internetunternehmen Lycos. Später baute er verschiedene Internet-Start-ups auf und leitete sie, bis er schließlich Mitgründer von Ada wurde. Martin Hirsch ist Humanbiologie und Neurowissenschaftler. Der Enkel des Physik-Nobelpreisträgers Werner Heisenberg gründete verschiedene Unternehmen und entwickelte die erste Version von Ada. Anfang dieses Jahres hat er eine Professur an der Philipps-Universität Marburg übernommen. Bei Ada ist er weiterhin als Berater tätig. Claire Novorol ist ausgebildete Ärztin und arbeitete zunächst in der Pädiatrie, bevor sie sich auf klinische Genetik spezialisierte. Die Chief Medical Officer bei Ada hat Abschlüsse in Pathologie und Medizin und einen PhD in Neurowissenschaften.