Prof. Dr. Erika Raab hat sich nach Schließungserfahrungen kleiner Häuser bewusst entschieden, ein Krankenhaus zu führen, das einen gescheiterten Fusionsprozess hinter sich hat. In Groß-Gerau hat sie nun ein Insolvenzverfahren hinter sich gelassen. Es hat geholfen, weil sie mit weniger politischem Einfluss ihr Kreiskrankenhaus umbauen konnte. Die Idee eines überregionalen Krankenhauskonzerns sollte verfolgt werden, findet sie.
Interview: Dr. Stephan Balling
Frau Prof. Dr. Raab, wie ist es, klinische Abteilungen oder gar ein ganzes Krankenhaus zu schließen?
Ich habe beides erlebt. 2015 habe ich im Konzernmanagement des Klinikums Darmstadt die Aufgabe übernommen, zwei katholische Krankenhäuser nach dem Kauf in das Unternehmen als Töchter auf der operativen Ebene zu integrieren. Als Interimskrankenhausleiterin musste ich sofort das St. Rochus Krankenhaus Darmstadt-Dieburg durch ein Insolvenzverfahren führen. Ursprünglich sollten beide hinzugekauften Häuser bestehen bleiben. Jedoch war das St. Rochus Krankenhaus als Klinik und Standort leider nicht mehr tragbar, wie sich nach der Übernahme herausstellte. Wir hätten schlicht die Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) nicht einhalten können. Auch wirtschaftlich war aufgrund der geringen Größe keine Restrukturierung als eigenständiges Krankenhaus Erfolg versprechend. Es folgte die volle Integration ins Klinikum Darmstadt. Beim zweiten Krankenhaus, dem Marienhospital, war es leider ähnlich. Dieses Haus hatte eine große Geburtshilfe, die unter anderem aber mit den bestehenden belegärztlichen Strukturen nach den Vorgaben des G-BA, beispielsweise bezüglich der Qualitätsindikatoren, nicht aufrechtzuerhalten war. Letztlich erfolgte nach mehrjährigen Sanierungsversuchen auch hier eine Integration in den Maximalversorger.
Was für Schlüsse haben Sie daraus gezogen?
Für mich war klar: Fusionen dürfen nicht immer damit enden, dass ein großes Haus die kleinen schluckt, abwickelt und die Standorte schließt. Sobald ein Maximalversoger eine tragende Rolle bei einer Fusion übernimmt, entsteht immer die Furcht vor Standortschließungen oder vor Wettbewerbsverzerrungen. Unterschwellig gibt es den Verdacht, dass der große Maximalversorger alles tun wird, um seinen Standort wirtschaftlich aufzustellen. In der Folge wären die kleineren Häuser in dem System nicht mehr Partner, sondern Zuarbeiter. Und damit ist es keine Kooperation auf Augenhöhe mehr. In Groß-Gerau sind Fusionsbestrebungen mehrfach gescheitert. Ich habe mich deshalb bewusst dafür entschieden, hierherzukommen.
Sie mussten auch in Groß-Gerau erst mal wieder ein Insolvenzverfahren führen.
Ja, aber seit Januar 2021 sind wir durch diesen Prozess durch. Und das ohne Fusion! Wir waren als Übernahmekandidat nicht attraktiv, weil das Haus wirtschaftlich zu schlecht aufgestellt war. Auf der anderen Seite haben wir hier einen wichtigen Versorgungsauftrag zu erfüllen. Als ich im April 2019 die Aufgabe übernommen habe, mussten wir überlegen, wohin die Reise für unser Kreiskrankenhaus gehen kann.
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Während des Insolvenzverfahrens kam dann COVID-19. Sie haben zu Beginn der Pandemie bundesweit Schlagzeilen mit Ihrer Test-Drive-Through-Station gemacht. Wo stehen Sie heute?
Als Krankenhaus in kommunaler Trägerschaft spielen die politischen Entwicklungen eine große Rolle. Durch die Coronapandemie konnten wir unsere Relevanz für die Region klar unter Beweis stellen. Derzeit hat im Kreistag eine rot-rot-grüne Koalition die Mehrheit, die von uns vor allem verlangt, Daseinsvorsorge und zum Beispiel auch Präventionsarbeit zu organisieren. Das hätte sich nach der gerade stattgefundenen Kommunalwahl aber beispielsweise im Fall einer konservativ-liberalen Mehrheit ändern können, wenn die Wirtschaftlichkeit und die Vermeidung roter Zahlen in den Mittelpunkt gerückt wären. Durch diese politische Abhängigkeit ist ein Klinikkonzept auch immer ein Konzept auf Zeit. Während der Pandemie im Jahr 2020 hatten wir übrigens den Vorteil des Insolvenzverfahrens, denn das gewährt viele Freiheiten: Der Einfluss des Gesellschafters ist gering, das Sanierungskonzept benötigt zuvorderst die Zustimmung des Insolvenzverwalters und von dessen Expertenteams.
Politikferne als Vorteil – wäre es besser, das Kreiskrankenhaus Groß-Gerau hätte einen privaten oder freigemeinnützigen Träger?
Sogar im Gegenteil: Ich denke, dass der kommunale Charakter gerade in der Krise einen wesentlichen Vorteil hatte. Zum Beispiel hatte das Krankenhaus bereits vor der Pandemie einen deutlichen Personalüberhang. Den haben wir in der Krise ins Gesundheitsamt überführen können, denn dort war der Bedarf sprunghaft gestiegen. Ohne die Unterstützung des kommunalen Trägers und die entsprechend eng vernetzte Struktur wäre das so nicht möglich gewesen.
Sollte das Kreiskrankenhaus Teil eines Konzerns werden?
Auf regionaler Ebene ist das hier wiederholt gescheitert. Wenn ein kleineres Haus mit einem nahegelegenen größeren fusioniert, ist am Ende oftmals der Faktor Mensch ausschlaggebend. Viele Mitarbeiter entscheiden sich bewusst für ein kleineres Haus, sie wollen keine anonymen Strukturen in einem Großkrankenhaus. Ein solches ist am Ende vielleicht auch sehr stark auf Wirtschaftlichkeit getrimmt – und weniger auf Fürsorge und Zeit für die Patienten. Dabei handelt es sich oftmals um exzellent ausgebildete Fachkräfte. Viele Ärzte an kleinen und mittleren kommunalen Kliniken waren erfolgreiche Mediziner in der Universitätsmedizin und haben sich dann bewusst für ein kleines Haus entschieden. Wer sich bewusst für ein kleineres Haus entscheidet, wird wenig begeistert sein, wenn dieses dann in einen Maximalversorger integriert wird. Das kann Fusionen zwischen einem großen und einem kleinen Krankenhaus belasten.
Also setzen Sie darauf, als Einzelkämpfer zu bestehen?
Konzernstrukturen bieten sicher große Vorteile mit Blick auf medizinische Qualität und Wirtschaftlichkeit. Es ist sinnvoll, Kapazitäten zu bündeln, allein um beispielsweise G-BA-Vorgaben einzuhalten, denken Sie an das Thema Mindestmengen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass sich diese Kompetenzen auch anders erreichen lassen. Deshalb kooperieren wir an der Kreisklinik Groß-Gerau mit mehreren Fach- und Belegärzten. So wird das Know-how zentral verknüpft und die Leistungen werden auf die Bedürfnisse der Bevölkerung anpasst.
Was halten Sie von einer überregionalen Holdingstruktur für kleine und mittelgroße kommunale Krankenhäuser, insbesondere mit Blick auf den ländlichen Raum?
Das klingt grundsätzlich sinnvoll: Alleine schon mit Blick auf Knappheiten beim Personal, die sich mittlerweile auch im Management und in der Verwaltung zeigen. Der ländliche Raum ist für junge Menschen weniger attraktiv. Dazu kommt die ständige Debatte über die großflächige Schließung von ländlichen Krankenhausstandorten, die auch nicht gerade dazu führt, dass diese Kliniken als attraktive Arbeitgeber empfunden werden. Ich sehe im Management gewaltige Synergieeffekte durch eine Holdingstruktur. Dazu kommen positive Effekte für den Einkauf, gegebenenfalls auch für die Steuerung von Patientenströmen.
Fehlt auch eine politische Interessenvertretung für kommunale Kreiskrankenhäuser?
Ja, eine politische Interessenvertretung für kleine und mittlere kommunale Häuser insbesondere auf dem Land fehlt tatsächlich. Ich habe das auch während der Coronapandemie gemerkt, als ich ganz oft von der Presse angefragt wurde. Da wurde immer wieder klar: Es fehlt ein Ansprechpartner, ein Interessenvertreter. Wir brauchen eine Interessenvertretung. Ländliche Krankenhäuser haben andere Strukturen und Anforderungen als ein städtisches Krankenhaus. Wir sind eine Sammelstelle für viele Probleme. Bei uns kommen Akutkrankenhaus, Pflege und soziale Belange zusammen. Und dieses Anforderungsbild an den Standort im ländlichen Raum ist etwas anderes als in einer Stadt, die sich eben tatsächlich auf Krankenhausbehandlung fokussiert. Das ist auch der Grund, weshalb ich gemeinsam mit meinem Landrat und mit Zustimmung des Kreistages versucht habe, ein Zielbild zu entwickeln: Wir wollen unser Haus in Richtung eines intersektoralen Versorgungszentrums mit einer Krankenhausbasisversorgung umwandeln. Dabei wollen wir auch Aspekte wie etwa den Fachkräftemangel bei den Hausärzten berücksichtigen. Das kann dann bedeuten, dass wir eine Kooperationsklinik für ein größeres Haus werden, die aber eigenständig agiert und nicht einfach vom nächstgelegenen Maximalversorger geschluckt wird.
220 Betten bei 8.186 vollstationären Fällen weist das Deutsche Krankenhausverzeichnis für die Kreisklinik Groß-Gerau aus. Innere Medizin, Chirurgie, Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie eine Zentrale Notaufnahme gehören zum Krankenhaus. Dazu kommen ein Pflegedienst, eine Elternschule sowie als Belegärzte die Mediziner einer Gemeinschaftspraxis und des Gelenkzentrums Darmstadt. An der Kreisklinik befinden sich ferner ein Medizinisches Versorgungszentrum für Allgemeinmedizin und Innere Medizin – Gastroenterologie, eine Praxis für Radiologie, eine onkologische Schwerpunktpraxis sowie eine chirurgische Praxis.