Unfallkrankenhäuser fallen im deutschen Gesundheitswesen etwas aus dem Rahmen: Kostenträger und Eigentümer sind eins, beide Rollen fallen den Berufsgenossenschaften zu. Die haben sich vor knapp zehn Jahren aufgemacht, ihre Häuser in einer Holding zusammenzuführen. Wie ein solch komplexer Vorgang gelingen kann, erklärt Reinhard Nieper, Geschäftsführer der BG Kliniken gGmbH.
Interview: Dr. Stephan Balling
Herr Nieper, Sie haben maßgeblich den Aufbau von zwei großen Krankenhauskonzernen gestaltet: in den 1990er-Jahren beim Alexianer-Verbund, seit 2011 den Zusammenschluss der BG Kliniken unter einer gemeinsamen Holding. Wie gelingt eine erfolgreiche Fusion?
Ich habe in der Tat zuletzt fünf Jahre daran gearbeitet, aus den rechtlich und inhaltlich selbstständigen berufsgenossenschaftlichen Kliniken und Unfallkliniken in Deutschland mit insgesamt 28 Eigentümern, einen Konzern zu bauen. Ich glaube, das ist nach wie vor die bisher komplexeste Krankenhausfusion in Deutschland gewesen – angesichts der vielen Player, die dort mitgewirkt haben und die nach sehr komplizierten rechtlichen Methoden eingebunden werden mussten. Die selbstständigen Kliniken und alle Gremien mussten einstimmig einer solchen Konzernbildung zustimmen. Und das war damit verbunden, dass die Zuständigkeiten und der Einfluss der lokalen Häuser geringer geworden sind. Die Bereitschaft für diese Fusion war anfangs nicht bei allen sehr groß. Die Akutkliniken verfügen schließlich zu Recht über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein als große Player im Gesundheitswesen. Dieser Zusammenschluss war ein hochkomplexer juristischer, betriebswirtschaftlicher und politisch-sozialer Vorgang.
Wie geht man so eine Fusion an?
Wir haben ein sehr ausgefeiltes System der Kommunikation entwickelt. Es fällt auch heute noch keine Entscheidung, ohne dass die lokalen Verantwortlichen mit in diesen Prozess einbezogen werden. Kommunikation ist das Zauberwort, damit so eine Fusion gelingt. Wir haben sehr viel auf allen Ebenen diskutiert, dann aber auch entschieden. Wichtig ist, dass es gelingt, alle Beteiligten und zuvorderst auch die Mitarbeiter davon zu überzeugen, dass es ihnen nutzt, wenn es einen überregionalen gesellschaftsrechtlichen Zusammenschluss gibt.
Worin liegt der entscheidende Vorteil eines Krankenhauskonzerns im Vergleich zu Einzelkrankenhäusern?
Der entscheidende Vorteil der Konzernstruktur ist der Wissenstransfer. Im Vordergrund der Argumentation stehen häufig zwar Skaleneffekte, etwa beim gemeinsamen Einkauf oder einer gemeinsamen IT-Infrastruktur. Das sind aber Selbstverständlichkeiten, die rechtfertigen keine Konzernstruktur. Der Grund für eine Konzernstruktur ist: Wir können es uns überhaupt nicht mehr leisten, dass das Wissen, das in einem Haus entwickelt wird, nicht auch anderen Häusern zur Verfügung steht. Die Medizin spezialisiert sich immer weiter. Und dieses hochspezielle Wissen bei den Maximalversorgern, die auf hohem Niveau Medizin betreiben, auch den anderen Mitgliedern eines Konzerns zur Verfügung zu stellen, das ist der eigentliche Mehrwert einer Konzernstruktur.
Haben Sie bereits ein konzernweites Data Warehouse, aus dem alle wichtigen Daten abgerufen werden können?
Ja, im Bereich der Verwaltung. Da werden Daten nicht nur gesammelt, sondern auch ausgewertet. Was uns aber noch fehlt, und darin besteht die große Zukunftsaufgabe, ist, im medizinischen Bereich eine echte Datenplattform zu entwickeln, um den Wissenstransfer noch besser zu gestalten.
Das heißt: Beim digitalen Austausch medizinischer Daten gibt es noch Luft nach oben?
Eine konzernweite digitale Plattform für medizinische Daten ist nicht nur technisch anspruchsvoll, sondern vor allen Dingen rechtlich. Aus datenschutz-rechtlichen Gründen dürfen wir die Daten der einzelnen BG Kliniken, die ja alle rechtlich eigenständige GmbHs sind, nicht einfach zusammenführen.
Welche Vorteile hätte das?
Die BG Kliniken behandeln 62 Prozent aller Querschnittsverletzungen in Deutschland. Wir betreuen wahrscheinlich die größte Kohorte von Querschnittsverletzten weltweit. Es wäre hochinteressant, die Verläufe bei diesem Krankheitsbild hausübergreifend auszuwerten. Wir könnten daraus Schlussfolgerungen ziehen und somit Quantität in Qualität übersetzen. Da sind wir zugegebenermaßen noch am Anfang, aber letztlich liegt darin das eigentliche Motiv für unsere Konzernstruktur.
Könnten die BG Kliniken Vorbild für kommunale Maximalversorger sein? Für einen überregionalen Zusammenschluss mehrerer kommunaler Maximalversorger, mit dem Ziel eines intensiven Wissenstransfers?
Da bin ich etwas skeptisch. Es gibt aus meiner Sicht einfachere Methoden, um den Vorteil des Wissenstransfers zwischen Maximalversorgern zu erzielen als eine gesellschaftsrechtliche Fusion. Das zeigen zum Beispiel die Uniklinika. Auf regionaler Ebene ist das etwas anderes. Da ist es längst überfällig, Konzerne zu bilden.
Aber gerade haben Sie auf die Vorteile für Maximalversorger hingewiesen.
Ja, aber bei solchen Fusionen werden die soziokulturellen Aspekte in der Regel kolossal unterschätzt. Wenn es nicht gelingt, den Mitarbeitern in Stuttgart oder Hamburg zu vermitteln, dass ein Zusammenschluss dieser Häuser sinnvoll ist, dann bleibt das ein lebloses Gebilde.
Sie haben bereits zweimal gezeigt, wie sich erfolgreich große Fusionen im Krankenhauswesen gestalten lassen. Wenn die Politik Sie ruft, würden Sie es ein drittes Mal wagen, dieses Mal für den kommunalen Sektor?
Es gäbe keine spannendere Aufgabe im Gesundheitswesen. So ein Unterfangen ist extrem herausfordernd. Es kann gelingen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Das heißt, es muss wirklich Sinn ergeben, so eine Fusion durchzuführen. Die Idee muss überzeugen. Bei den BG Kliniken mussten die 28 Eigentümer, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mit unterschiedlichsten Interessen zusammengeführt werden. Wenn man nicht mit Begeisterung dabei ist und es nicht zu 100 Prozent für richtig erachtet, dann kann man so einen Prozess nicht durchhalten. Neben der Begeisterung und einer überzeugenden Idee sind noch zwei weitere Faktoren für einen Erfolg ausschlaggebend: der richtige Zeitpunkt und die Fähigkeit, die Idee kommunizieren zu können.
Neun Akutkrankenhäuser, eine Rehaklinik und eine Ambulanz gehören zum Konzern der BG Kliniken gGmbH. Seit 2016 werden diese Standorte als Teil von der Holding geführt, die jeweils 75 Prozent der Anteile an einem Einzelkrankenhaus hält. 25 Prozent verbleiben bei den bisherigen Trägern vor Ort. Die Gesellschafterversammlung als oberstes Organ ist gemäß der sozialen Selbstverwaltung paritätisch besetzt aus Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Insgesamt beschäftigt der Konzern 14.500 Mitarbeiter bei einem Jahresumsatz von gut einer Milliarde Euro.