Die Cleveland Clinic gilt seit Jahren als eines der besten und innovativsten Krankenhäuser Amerikas. Was machen die Manager in Ohio anders? Sie richten ihre Prozesse streng nach den Bedürfnissen der Patienten aus. Basis bildet eine konsequente Patients-First-Kultur.
Von Dr. Stephan Balling
Dr. Boissy, die CXO des Krankenhauskonzerns, behandelt trotz ihrer umfangreichen Aufgaben im Management noch immer Patienten. Multiple Sklerose ist ihr Spezialgebiet. Doch im Gespräch betont sie, dass sie auch einen akademischen Grad in Bioethik hat. Immer habe sie das Verhalten von Menschen fasziniert, gerade auch das zwischenmenschliche.
Viele Jahre habe sie deshalb damit verbracht, ein Curriculum zu entwickeln, um Ärzten beizubringen, wie sie besser kommunizieren können, wie sie mit Patienten und Kollegen gut interagieren, wie eine echte „Patients first“-Kultur gelingen könne, bei der der Patient im Mittelpunkt aller Handlungen steht, und dies auch so wahrnimmt.
Nach Übernahme ihrer Funktion als Chief Experience Officer habe sie zunächst ein Schulungsprogramm für alle 40.000 „Caregivers“ – Ärzte, Pflegekräfte und andere Professionen wie Physician Assistants (PA) – entwickelt, „wir nannten das die Cleveland Clinic Experience“, erinnert sie sich. Jedem, der in dem Krankenhaus arbeite, müsse klar sein, dass er absolut dem Patientenwohl verpflichtet sei – egal ob Verwaltung, Facility Management, Pfleger oder Arzt. Die Klinikmanagerin betont das interprofessionelle Prinzip der Schulungen: Neurochirurgen saßen neben Reinigungskräften, Marketing-Leute neben Pflegekräften. Sie teilten Geschichten und Erlebnisse. Dr. Boissy erinnert sich: „Am Anfang lehnten sich einige Ärzte skeptisch in ihren Stühlen zurück, sagten, das ist ja ganz nett hier, aber warum müssen wir nun hier sein?“ Was sie festgestellt habe: „Es reicht nicht, wie in anderen Industrien zu arbeiten, die Mitarbeiter zu verpflichten ‚Bitte‘ oder ‚Danke‘ zu sagen.“ Medizin ist komplizierter. „Als Neurologin spreche ich mit Patienten, und muss ihnen zum Beispiel sagen, dass sie ALS haben und vielleicht nicht mehr lange leben werden.“ Da helfen Kommunikationstechniken von der Stange wenig.
Schon bevor sie Chief Experience Officer wurde, noch als Direktorin des Center for Excellence in Healthcare Communication, habe sie also begonnen, ein Kommunikationskonzept für Ärzte zu entwickeln, für hoch qualifizierte, meistens etwas datenversessene Mitarbeiter, wie sie sagt, die der Ansicht waren, sie hätten bereits umfangreiche Kommunikationskompetenzen.
Da sie kein Vorbild in keinem anderen Krankenhaus der USA fand, machte sie sich selbst ans Werk. „Wir haben ein Programm kreiert, das zunächst auf unsere Chef- und Oberärzte zielte und dann auf alle anderen Bereiche ausstrahlen sollte.“ Ab dem Jahr 2012 seien so zunächst 1.000 Führungskräfte geschult worden, dann weitere 4.000. Die Ergebnisse wurden evaluiert, nach dem Prinzip wissenschaftlicher medizinischer Studien: Patienten wurden im Anschluss an Gespräche mit ihren Ärzten nach ihren Erfahrungen gefragt und sollten die Kommunikationskompetenz bewerten, dabei wussten sie nicht, ob ihr Arzt das Kommunikationsprogramm absolviert hatte oder nicht. Das Ergebnis: Ärzte mit der Schulung schnitten deutlich besser ab. Die Patienten fühlten sich besser wahrgenommen.
Entscheidend für die bessere Kommunikation mit den Patienten waren aber offenbar nicht bestimmte Gesprächstechniken. „Das Geheimnis war, einen sicheren Raum für unsere Mitarbeiter zu schaffen, damit sie ihrem Schmerz und Leiden eine Stimme geben können“, sagt Dr. Boissy. Ärzte, Pflegekräfte und alle an der Patientenversorgung Beteiligten sollten ihre Erlebnisse teilen können, erzählen können, wenn sie zum Beispiel einen Patienten verloren haben, wenn eine Operation misslungen ist oder sie einen Fehler machten. „Es ist faszinierend, die Geschichten zu hören“, sagt Dr. Boissy. Ein weiteres Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit für einen Burn-out von Mitarbeitern sank innerhalb von drei Monaten deutlich.
Dr. Boissy erklärt, warum: Hauptgrund für Burn-outs sei ein Konflikt von Werten: Ich bin Mediziner geworden, um Menschen zu helfen, aber jetzt erledige ich nur Papierarbeit und streite mit Krankenschwestern. „Das bereitet Kummer“, sagt die Neurologin. Am Anfang der Patient Expercience stand also eine Mitarbeiter Experience, eine Kultur im Krankenhaus. „Es geht um menschliche Erfahrung generell, sowohl für die, die Gesundheitsdienstleistungen anbieten, als auch für die, die sie als Patienten empfangen.“ Eigentlich unbeabsichtigt stand am Beginn des Patient-Experience-Prozesses die Frage, wie sich die Mitarbeiter fühlen. „Als ich begann, war das nicht meine Strategie. Wir sind da buchstäblich reingestolpert“, gesteht Dr. Boissy ein.
Man könne von den Mitarbeitern nicht einfach fordern: „Hey, Patients first“, wenn diese sich gerade vor allem damit befassen, wie es ihnen selbst geht. „Wenn es um Kommunikation geht, lernen Menschen nicht das, was ich will, dass sie lernen sollen. Sie lernen, was sie interessiert.“
- Erfolg per „Patient Experience“
- Mitarbeiter Experience: Pflegekräfte und Ärzte reden lassen