An großen Visionen mangelt es in Zeiten der digitalen Transformation keineswegs – wohl aber zu oft an der dazugehörigen Bandbreite für den wachsenden Datenaustausch. Wie Krankenhäuser sich rüsten: ein Hausbesuch im zentralen Rechenzentrum des Elisabeth Vinzenz Verbundes.
Von Dr. Stephan Balling
Ein Ausfall hier im zentralen Rechenzentrum hätte unmittelbar Auswirkungen auf den Krankenhausbetrieb aller Standorte. Oder vielleicht auch nicht. Denn die katholische Einrichtung hat vorgesorgt, arbeitet mit zwei solcher Räume, die getrennt voneinander in gesonderten Brandabschnitten stehen. Redundanz heißt die Maxime, zur Sicherheit! „Bei einem Leitungsproblem wird automatisch auf die vorhandene Back-up-Leitung im zweiten Serverraum geschwenkt. Ebenso verhält es sich mit den verbundweit bereitgestellten Applikationen, sofern im schlimmsten Fall ein kompletter Serverraum ausfällt“, erklärt Wolf-Christian Varoß, als Gesamt-IT-Leiter für alle Standorte des EVV verantwortlich. Und selbst wenn die Internetanbindung des Providers ausfallen sollte, ist das für ihn noch kein Grund zur Panik. Denn der zweite, redundante Internetanschluss wurde über einen anderen Hausverteiler (HVt) realisiert. Es gibt also zwei getrennte Internetanschlüsse für das zentrale Rechenzentrum des Krankenhausverbundes. Redundanz als Leitmotiv, sozusagen.
Gibt es diesen doppelten Boden an allen Standorten? „Grundsätzlich sind alle Krankenhausstandorte des Verbundes komplett redundant angebunden, jedoch nicht zwangsläufig über den Weg einer separaten zweiten Hauseinführung“, sagt Varoß. Schließlich seien nicht überall im Land dicke Leitungen im Erdboden vorhanden, die Bandbreiten zulassen, die ein Krankenhaus heute und vor allen Dingen zukünftig benötigt. „Wir haben Klinikstandorte, die sind landschaftlich schön gelegen“, sagt Varoß. Gerade im ländlichen Raum ist die Anbindung mitunter schlecht. Dabei wird unter anderem die Frage der Geschwindigkeit bei Datentransfers künftig ausschlaggebend dafür sein, welche (neuen) Geschäftsfelder und damit verbundenen Leistungen ein Krankenhaus anbieten kann. Nicht zuletzt die Telematikinfrastruktur (TI) mit dem Ziel einer elektronischen Patientenakte (ePA) für alle 72 Millionen gesetzlich Krankenversicherte in Deutschland wird diese Frage verstärkt aufwerfen.
Doch was kann ein Krankenhaus tun, wenn schlicht keine passende (zweite) Leitung vorhanden ist oder ein weiterer Ausbau zu hohen Kosten führen würde? Viele Kliniken setzen auf Richtfunkantennen (WLL). Die Datenübertragung erfolgt also per kabelloser Internetanbindung. Antennen auf dem Dach des Krankenhauses sorgen für den Anschluss ans Netz. An mehreren Standorten im Verbund, unter anderem am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara Halle etwa, habe der EVV eine solche Antenne installiert, berichtet Varoß. „Die WLL-Antenne überträgt Daten aus dem Krankenhaus zur nächsten Basisstation unseres Providers und der speist diese dann ins Netz ein“, erklärt der IT-Leiter. Das Ganze funktioniere gut, zur Verfügung stünden Bandbreiten von bis zu 300 Mbit/s. „Die mit diesem Medium angebotenen Service Levels, SLA, sind für unsere Zwecke vollkommen ausreichend“, sagt Varoß. Der gesamte Verbund sei über ein gesichertes privates Netz auf Basis der Multi-Protocol-Label-Switching-(MPLS-)Technologie verbunden, erklärt er weiter. Alle Standorte tauschen darüber ihre Daten aus.
Eine stabile Vernetzung mit hohen Bandbreiten spielt für die Steuerung eines Krankenhausverbundes eine immer größere Rolle. Schließlich benötigt das Management einheitliche Daten aus allen Standorten, wenn möglich per Knopfdruck. Data Warehouse lautet das Stichwort für modernes datenbasiertes Management. „Die technische Vernetzung aller Standorte war ein entscheidender Faktor, um für den Elisabeth Vincenz Verbund ein zentrales Data Warehouse aufzubauen“, sagt Nils Wittig, Chief Experience Officer (CXO) beim Münchner Datenanalyseunternehmen KMS.
Doch die Vernetzung ist ein Mammutprojekt. Die Herausforderungen mit den Richtfunk-(WLL-)Antennen: Lange Genehmigungen! Drei bis sechs Monate habe die zuständige Bundesnetzagentur benötigt, um eine Funkfrequenzfreigabe zu erteilen, berichtet Varoß. Zuvor seien umfangreiche Vorbereitungen inklusiver mehrerer Begehungen im Haus nötig gewesen. Von der Idee bis zur Antenne auf dem Dach dauere es in der Regel ein Jahr. Im EVV haben mittlerweile alle Standorte eine redundante Internetverbindung. Richtfunkantennen seien dafür an drei Standorten installiert worden. Die Kosten einer WLL-Verbindung variiere dabei je nach Bandbreite, ein dreistelliger Eurobetrag pro Monat sei eine zu kalkulierende Richtgröße, wobei die Antenne der Provider stelle.
Funkmasten als finale Lösung? „Auf Dauer benötigen Krankenhäuser Glasfaseranschlüsse“, sagt Varoß. Schließlich setze sich immer stärker cloudbasiertes Arbeiten durch. In der Tat: Microsoft will den technischen Support für Office 2019 im Jahr 2025 einstellen. Das cloudbasierte Paket Office 365 ist die Zukunft. Auch das Datenmanagement und immer mehr Anwendungen insgesamt wanderten in die Cloud. „Die Bedeutung der Bandbreite wird damit zusehends wichtiger und entwickelt sich neben den eigenen Serverkapazitäten zu einem entscheidenden Innovationsfaktor“, beschreibt KMS- CXO Wittig den Trend.
Varoß nennt als Beispiel die präoperative OP-Planung in Krankenhäusern. Diese erfolgt teilweise über die Software von Herstellern der Medizingeräte, die in der neuesten Version die Software als „Software as a Service (SaaS)“ zur Verfügung stellten, also als Cloudlösung. Die Idee der präoperativen OP-Planung: Medizingeräte, Implantate und weiteres Gerät sollen parat stehen, bevor der Chirurg zum Skalpell greift oder zum Joystick, mit dem er den OP-Roboter steuert. Dabei kann über eine solche Cloudlösung beispielsweise vorab anhand der Patientendaten ein passendes Implantat, etwa ein künstliches Knie- oder Hüftgelenk, bestellt werden. „Das ist regelmäßig viel günstiger, als solche Implantate patientenindividuell anfertigen zu lassen, und es gibt alle denkbaren Größen, sodass am Ende kein Unterschied besteht“, pflichtet Wittig bei. Varoß fasst zusammen: „Cloudsysteme lösen die klassischen Client-Server-Systeme sukzessive ab. Der damit verbundene Einsatz als Weblösung ermöglicht mehr Flexibilität in der Bereitstellung der Lösung für den Anwender, zum Beispiel auf mobilen Endgeräten.“
Doch auch die Digitalisierungsoffensive von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) stellt die Krankenhäuser vor die Frage, welche Datenübertragungsgeschwindigkeit sie eigentlich benötigen, um anschlussfähig zu bleiben. 2021, also in knapp zwölf Monaten, sollen TI und ePA online gehen. „Viele technische Fragen sind noch völlig unklar“, berichtet Varoß. Diese aber seien entscheidend für die Frage, auf welcher Datengeschwindigkeit die digitale Vernetzung des deutschen Gesundheitswesens basieren werde. Liegen die Daten wie bei Amazon in einer großen Cloud, bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Informationen mit großen Datenmengen, etwa Bilder aus MRT-, CT- oder Röntgenaufnahmen, werden tatsächlich in das System eines Krankenhauses übertragen. Dann bilden dicke Datenleitungen die Voraussetzung für eine funktionierende Telematik. Theoretisch könnten solche Anwendungen aber – die zweite Möglichkeit – in einigen Bereichen auch webbasiert erfolgen. Die Anwender im Krankenhaus würden Befunde beispielsweise dann webbasiert analysieren, vergleichbar vielleicht mit einem Stream. Dann sei eine deutlich geringere Bandbreite ausreichend, erklärt Varoß. Laut Gematik soll dieser Weg aber nicht die Zukunft sein.
Varoß nennt als Beispiel für webbasierte Anwendungen virtuelle Tumorkonferenzen, an denen verschiedene Ärzte aus mehreren Krankenhausstandorten teilnehmen. „Dafür reichen meist sehr geringe Bandbreiten aus“, sagt Varoß. Anders, wenn ein Radiologe im Homeoffice komplexe Befundungen vornehme: „Das funktioniert in der Regel nicht webbasiert, da müssen die Daten wirklich auf seinen Rechner zu Hause übertragen werden, und das erfordert große Bandbreiten.“
Neben der Bandbreite sollten Krankenhäuser aber noch auf einen anderen Faktor achten, nämlich die Frage, welche Daten prioritär zu behandeln sind. In der politischen Debatte wird diese Frage unter dem Stichwort Netzneutralität diskutiert. Im Kern geht es beispielsweise darum, ob Telekommunikationsunternehmen ihren Streaming- oder Online-Fernsehen-Angeboten Vorrang vor anderen Daten einräumen dürfen. Aufs Krankenhaus bezogen bedeutet dies, dass zum Beispiel bestimmte Bandbreiten nur für die Teleneurologie freigehalten werden oder dedizierte Leitungen, also Standleitungen, genutzt werden. Dies ist Voraussetzung, um Patienten mit einem akuten Schlaganfall telemedizinisch behandeln zu können, also beispielsweise die Fernbefundung von MRT-Bildern von Experten an zentralen Standorten so schnell wie möglich erfolgen zu lassen. Schließlich kann es Patienten das Leben kosten, wenn dies aufgrund einer mit anderen Daten verstopften Leitung nicht so schnell wie möglich erfolgen kann.
DATENÜBERMITTLUNG PER VPN
Auf Anfrage von „Transformation Leader“ zur künftigen Datenübertragung erklärt die für die Telematikinfrastruktur verantwortliche Gematik: „Die Datenübertragung ist grundsätzlich davon abhängig, welche Anwendung im Krankenhaus genutzt wird beziehungsweise genutzt werden soll. Dazu wird kein webbasierter Austausch verwendet. Die Daten werden über einen entsprechenden Zugang der Telematikinfrastruktur (über VPN-Zugangsdienste) übermittelt, der über eine vorhandene Internetverbindung einen mehrfach abgesicherten (verschlüsselten) Kommunikationskanal in der Telematikinfrastruktur (TI) aufbaut. So kann basierend auf bestehenden Anbindungen die Datensicherheit gewährleistet werden.“
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