Pandemie als Innovationstreiber

Interview mit Maximilian Greschke, CEO von Recare Deutschland GmbH.

Corona und die Transformation Ihrer Organisation – Hand aufs Herz: Haben wir vor einem Jahr mit unserem Fokus auf Mindset und Innovationsmanagement eventuell den falschen Schwerpunkt gesetzt, oder wie erleben Sie als Führungspersönlichkeit den (digitalen) Umbruch auch im Lichte der Pandemie?

Wir haben das große Glück, dass wir als junges Technologie Startup schon seit unserer Gründung vor ungefähr drei Jahren durchweg digital unterwegs sind. Mit Blick auf unsere Kultur und die bereits etablierten Tools war wegen der Einschränkungen durch die Pandemie kaum weiteres Change- oder Innovationsmanagement notwendig. Sicherlich waren auch wir mit Blick auf die Aufrechterhaltung von Teamgefühl und Mindset in dieser turbulenten Phase besonders gefordert. Als Führungskraft, die digitale Prozesse allerdings nicht nur propagiert, sondern diese auch stets euphorisch vorlebt, habe ich persönlich diese Herausforderung jedoch als sehr spannend und eigentlich durchweg positiv wahrgenommen.

Agilität, Innovationsfähigkeit, Leadership, Patient Journey: Wie haben Digitalisierung und Pandemie Ihre Organisation in den vergangenen zwölf Monaten ganz konkret verändert?

Ganz offensichtlich hatte die Pandemie negativen Einfluss auf unsere Vertriebspipeline. Allerdings haben die neuen Umstände auch eine große Zahl an Digitalisierungsdefiziten speziell in Krankenhausprozessen und der Versorgungssteuerung offenbart. Darauf galt es für uns agil zu reagieren und Krankenhäusern mit weiteren digitalen Innovationen als Ergänzung unserer bestehenden Infrastruktur sinnstiftende Mehrwerte anzubieten. Als Beispiel möchte ich da unser Modul für Krankenhausverlegungen und die abgeschlossene strategische Partnerschaft mit den Recura Kliniken in Brandenburg nennen. Wir haben in kürzester Zeit unser Produkt so optimiert, dass unsere Kunden Covid-Intensivpatienten in Echtzeit in die Kliniken verlegen können, in denen gerade die entsprechenden Intensivkapazitäten mit ausreichend Personal und Beatmusgeräten verfügbar sind. In diesem Sinne haben wir die Auswirkungen der Pandemie für unsere Geschäftsmodell also auch als Innovationstreiber und neue Opportunität verstanden. In unserer alltäglichen Arbeit war plötzlich schnelles Handeln gefragt, was uns noch kreativer hat werden lassen und den vollen Fokus darauf-gesetzt hat, wie unsere Technologie sowohl beim Anwender als auch beim Patienten auch in Krisenzeiten maximalen Mehrwert stiften kann.

Digitalisierung und Pandemie – ein Geschenk für ein digitales Startup? Wie haben sich die Kunden (Krankenhäuser) verändert?

Mit Sicherheit haben digitale Start-ups in dieser Zeit weniger zu kämpfen als eher konservativer eingestellte Akteure des Gesundheitswesens. Trotzdem gibt es bei so einschneidenden Veränderungen selten nur Gewinner und nur Verlierer. Wegen des hohen Bedarfs an Intensivkapazitäten wurden Akutkrankenhäuser von der Politik für einen längeren Zeitraum in eine Art Notfallmodus versetzt. Elektive Eingriffe wurden heruntergefahren und Krankenhausentscheider waren zwangsläufig mit anderen Themen als nachhaltiger Prozessoptimierung beschäftigt. Auf der einen Seite haben die Entwicklungen der letzten Monate somit auch den letzten Digitalisierungsverweigerern in den Krankenhäusern die Augen geöffnet. Das ist Wind auf unsere Mühlen und auch der Strategiewechsel der Politik, Digitalisierung ab sofort mit der Brechstange durchzusetzen, dürfte unserem Geschäftsmodell nicht schaden. Ebenso positiv haben wir in unserem Arbeitsalltag wahrnehmen dürfen, dass Krankenhäuser viel affiner für digitale Kommunikation und die kurzen Entscheidungswege werden. Während unser Vertrieb und unsere Customer Success Manager früher fast ausschließlich persönlichen Kontakt in Krankenhäusern hatten, was mit viel zeitintensiver Reiserei verbunden war, scheinen sich unsere Partner nun vermehrt an Video-Calls und E-Mail-kommunikation zu gewöhnen. Auf der anderen Seite sehen wir aber auch, dass die Pandemie Krankenhäuser vor allem finanziell Planungsunsicherheiten beschert und sie derzeit eher zu Reakteuren als Akteuren macht. Das Stresslevel auf den Stationen ist teilweise enorm gestiegen, was Change-Management und die Abkehr von Altbewährtem erschweren. Es wird abzuwarten sein, ob Investitionsformate wie das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) die Planungssicherheit für Digitalisierung zurückbringen, oder ob die mit öffentlicher Förderung immer verbundene Bürokratie Krankenhäusern noch mehr Arbeit abverlangt.



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