Interview mit Dr. Ursula Becker, Geschäftsführerin der Dr. Becker Klinikgesellschaft und Vorstand der Dr. Becker Unternehmensgruppe
Corona und die Transformation Ihrer Organisation – Hand aufs Herz: Haben wir vor einem Jahr mit unserem Fokus auf Mindset und Innovationsmanagement eventuell den falschen Schwerpunkt gesetzt, oder wie erleben Sie als Führungspersönlichkeit den (digitalen) Umbruch auch im Lichte der Pandemie?
Keineswegs. Das Wissen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit unterstützt dabei, dass diese in herausfordernden Zeiten besonders engagiert bei der Sache sind. Das merken wir jeden Tag. Ich glaube nicht, dass andere Betriebe so niedrige Krankheitsquoten haben wie wir derzeit. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen ganz genau, warum sie jeden Tag zur Arbeit kommen und vermitteln den Patienten weiterhin Zuversicht und Hoffnung im Rehabilitationsprozess. Die von unserem Unternehmen gestalteten Rahmenbedingungen, die größtmögliche Sicherheit ermöglichen, tragen dazu bei, dass wir eine wirksame Rehabilitation durchführen können. So haben wir schon sehr früh, im Mai dieses Jahres entschieden, dass bei uns Rehabilitation nur nach Vorlage eines negativen Coronatests möglich ist. Jeder Patient wurde abgestrichen, schon lange bevor es eine externe Finanzierungsmöglichkeit gab. Hinzu kommt, dass wir schon immer nur Einzelzimmer für unsere Patienten vorhalten. Und auch die Innovationen der letzten Jahre, wie unser Patientenportal „Mein Bereich“, tragen zur gefühlten und tatsächlichen Sicherheit bei. In diesem Bereich schulen wir jeden Patienten vor Aufnahme im Umgang mit Hygienemaßnahmen.
Agilität, Innovationsfähigkeit, Leadership, Patient Journey: Wie haben Digitalisierung und Pandemie Ihre Organisation in den vergangenen zwölf Monaten ganz konkret verändert?
Viele der Investitionen in den letzten Jahren haben sich nun ausgezahlt. Und damit meine ich nicht nur die Infrastruktur für Videokonferenzen. Durch unsere stetigen Investitionen in der Vergangenheit konnten wir schnell auf die veränderten Umstände reagieren und voll umfänglich funktionsfähig bleiben. Neu hinzugekommen ist eine neue Form der agilen Leadership. Für mich bedeutet dies, dass Führung sich auch an die Situation anpassen kann und die Organisationen trotz eines vermeintlichen Bruchs in der Form der Führung weiterhin stabil zusammenstehen. Im Krisenfall muss die Organisation vielfach von einer eher partizipativen Führung umgeschaltet werden auf einen direktiven Führungsstil. Es tritt ein Krisenstab zusammen, der klar und hierarchisch, ja fast militärisch, organisiert ist. In diesem Moment muss die Organisation umschalten können und Anweisungen ausführen. Das ist bei uns an der ein oder anderen Stelle in den letzten Monaten passiert und, wo es noch nicht passiert ist, üben wir dies jetzt. Unser Learning war, dass es gut funktioniert, aber dass man die Strukturen für diesen Krisenfall vordenken muss. Dabei kommt uns die relevante Größe unseres Unternehmens zugute. So haben wir die Möglichkeit, Handlungsanleitungen zentral zu verfassen, damit die einzelnen Standorte diese nur noch auf die Gegebenheiten vor Ort umsetzen müssen. Außerdem haben wir eine sehr professionell aufgestellte Krisenkommunikation nach innen und außen etabliert. Im Falle eines Ausbruchs bieten wir unseren Mitarbeitern psychologische Unterstützung in Form einer Telefon- Hotline eines anderen Standorts. Dies alles führt nicht nur dazu, dass wir einen Ausbruch möglich schnell unter Kontrolle bekommen wollen. Es führt auch dazu, dass die Mitarbeiter sichere Strukturen erleben und ein „Umschalten in den Krisenmodus“ und auch wieder zurück in den Modus „Neues Normal“ mitvollziehen. Schon jetzt machen wir uns Gedanken darüber, was nach Corona mit der Unternehmenskultur passieren muss. Die Anspannung, die derzeit bei allen vorhanden ist und an einem Tag X abfallen wird, wollen wir produktiv nutzen.
Rehakliniken als Back-ups des Gesundheitswesens: Wie gefallen Sie sich in der neuen Rolle?
Die Rolle steht den Rehakliniken sehr gut zu Gesicht und wir haben in der ersten Welle der Pandemie bereits gezeigt, dass wir würdig sind, diesen Titel zu tragen. Es ist natürlich enttäuschend, dass die Politik die Stärke der Rehakliniken während der ersten Welle erkannt hat, sich diese zunutze gemacht hat und uns jetzt praktisch ausblendet. Ich sehe noch weitreichendes Potenzial sowohl auf Bundes als auch auf Landesebene, was die Vertrauensbildung durch die Politik angeht, sobald diese nicht unter akutem Handlungsdruck steht. Allerdings ist die Rolle des Back-ups nicht mehr nur zu interpretieren als Ersatzkrankenhaus: Corona zeigt, dass Erkrankungen nicht in wenigen Tagen im Regelkrankenhaus behandelt werden können, sondern dass vielfach längere Zeit nötig ist, um Menschen wieder teilhaben lassen zu können am sozialen Leben oder auch im Arbeitsleben. Rehakliniken sind das Back-up zur Sicherung der Erstbehandlungsergebnisse des Krankenhauses und der Ebnung des Weges ins alte Leben zurück. Denn dazu fehlt den Regelkrankenhäusern die Zeit, es ist auch nicht ihr Auftrag.
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