Das Digitale Versorgung-Gesetz (DVG) ebnet den Weg für Krankenkassen, sich aktiv mit bis zu zwei Prozent Kapital ihres Rücklagevermögens in das Marktgeschehen um digitale Gesundheitsanwendungen einzumischen. Hans Unterhuber, seit 2002 Vorstandsvorsitzender der Siemens-Betriebskrankenkasse, warnt vor großen Erwartungen.
Interview: Frank Stratmann
Herr Unterhuber, was macht die Siemens-Betriebskrankenkasse mit dem bald zur Verfügung stehenden Kapital? Investieren Sie aktiv?
Ich verstehe, dass da gerade etwas Euphorie aufkommt. Doch ist es ja nicht so, dass wir nicht vorher schon aktiv gewesen wären. Nach unserer Erfahrung ist das Problem nicht die Finanzierung von Lösungen. Gute Start-ups mit vielversprechenden Lösungen haben in der Regel kein Finanzierungsproblem. Die Herausforderung liegt eher darin, im Versorgungsalltag anzukommen und eine relevante Anzahl an Nutzern und Ärzten zu überzeugen. Zudem beschäftigt uns als Krankenkasse die geplante Preisfindung bei der Verschreibung von Gesundheits-Apps. Da liegt noch viel im Dunklen. Das Gesetz räumt ein Jahr bis zum Nachweis der Wirksamkeit ein. Das bringt mit sich, dass man im ersten Jahr Wunschpreise verlangen kann, die sehr wahrscheinlich nicht immer gerechtfertigt sein dürften. Die Preisbildung erscheint mir eher inkonsistent und unsystematisch zu sein.
Welches Vorgehen schwebt Ihnen denn vor, wenn es darum geht, für seriöse Gesundheits-Apps den Markt zu öffnen?
Wer eine echte Bottom-up-Experimentierphase haben möchte, sollte klare Rechts- und Qualitätsgrundlagen schaffen und dann den Krankenkassen im Rahmen von Verhandlungen und Selektivverträgen kreativen Spielraum geben. So hätten innovative Basislösungen eine echte Chance. Trotzdem würde ich sagen: Die neuen Möglichkeiten sind positiv zu sehen. Wir dürfen gespannt sein, wie sich die Ausführungsbestimmungen zum Start darstellen. Und ob es uns gelingt – vor allem in Zusammenarbeit mit der Aufsicht –, unkomplizierte Lösungen auf die Beine zu stellen. Was wir an der Stelle nicht brauchen, sind zwölf Monate Diskussion, wie wir die Kostenübernahme einer App in unserer Satzung abbilden. Im Bereich Diagnose und Therapie bleibt für die Start-ups zudem die Ochsentour über den Gemeinsamen Bundesausschuss.
Sie sagen also, die Finanzierung über die zwei-Prozent-Regel ist weniger aufregend als vielmehr die Ausgestaltung des Gesetzes zur Finanzierung von digitalen Gesundheitsanwendungen?
Ich bin sicher, dass sich die Goldgräberstimmung schnell legt, was ein Engagement der Krankenkassen betrifft. Beitragsfinanzierte Sozialversicherungen können Venture Capital-Geber nicht vollständig ersetzen oder deren Rolle übernehmen, da sollten wir realistisch bleiben. Mit dem Healthy Hub haben wir als SBK bereits Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Start-ups beim Thema Gesundheits-Apps gesammelt. Was wir dort gelernt haben ist, dass man Projekte inhaltlich gemeinsam entwickeln sollte. Ein Exklusivitätsanspruch hilft nicht weiter, um innovative Lösungen in die Versorgung und zu den Versicherten zu bringen. Und was die Rolle als Investmentgeber betrifft: Ich kann mir gut vorstellen, dass wir im Rahmen der neuen Möglichkeiten bei bestimmten Themen Kapitalsammelstellen organisieren. Aber Wolkenkuckucksheime bauen wir derzeit nicht.