Was ist, wenn durch den Fokus auf Sachentscheidungen Leadership und Beziehungsarbeit teilweise auf der Strecke bleiben? Bei der Dr. Becker Klinikgruppe tauschten sich die Geschäftsleitungen dazu mit den Führungskräften aus – und kamen zu einer wichtigen Erkenntnis.
Von Dr. Ursula Becker, Geschäftsführerin der Dr. Becker Klinikgruppe und Vorstand der Dr. Becker Unternehmensgruppe
In den letzten Monaten haben wir als Geschäftsleitungen viele Entscheidungen getroffen und waren sehr proaktiv als Player unterwegs. Insbesondere in den Krisenstäben mit den Kliniken waren wir schneller und stringenter als in den Vorjahren. Dabei haben wir oft gedacht: Es funktioniert doch wirklich gut, so konzentriert und fokussiert Themen abzuarbeiten. Der Player-Mode gefällt uns gut, und den wollen wir auch beibehalten!
Irgendwann kam dann der Moment, als wir spürten, dass durch diese Art der Arbeit vieles gut läuft, aber auch etwas auf der Strecke bleibt. Durch den Fokus auf Sachentscheidungen bleibt Leadership und Beziehungsarbeit teilweise auf der Strecke. War das nur unser Gefühl, oder empfanden unsere Führungskräfte das auch?
Wir haben uns auf den Weg gemacht und sie mittels eines standardisierten Instruments befragt, wie sie die Zusammenarbeit empfinden. Herausgekommen ist, dass für sie die Basis für konstruktive Zusammenarbeit empathische Kommunikation und belastbare Beziehungen sind. Wir waren also häufig als Knower unterwegs und haben den Learner-Anteil in der Arbeit miteinander vernachlässigt.
Was nun? Wie können wir in diesem Punkt besser werden? Wir entschieden uns für eine dreitägige persönliche Zusammenkunft mit den Standortleitungen. Unser Thema: Wie wollen wir künftig zusammenarbeiten und welchen Beitrag leistet jeder dazu? Tagesordnung? Fehlanzeige! Auch für mich war das ein Experiment mit dem Risiko, dass wir gemeinsam jede Menge wertvolle Zeit von Geschäftsleitung, Verwaltungsdirektoren und Chefärzten verschwenden. Zur Vorbereitung haben wir jeden Standort über die Ergebnisse der Befragungen in einer Videokonferenz informiert.
Jetzt hatten wir das erste Mal seit fast zwei Jahren die Möglichkeit, miteinander zu reden und uns darüber auszutauschen, wie wir bisher zusammenarbeiten – und künftig zusammenarbeiten wollen. Dabei war allen der Blick auf die Zukunft wichtiger als die Rückschau. Sehr konstruktiv haben wir entschieden, woran wir festhalten wollen, womit wir neu beginnen und was wir nicht mehr wollen in unserer Zusammenarbeit.
Und in diesem Prozess machte sich eine Erkenntnis im Raum breit: Die Sachthemen, die wir alle bearbeiten wollen, können nur gemeinsam bearbeitet werden. Starke Zusammenarbeit gründet auf dem Zutun eines jeden Einzelnen, nur er beziehungsweise sie kann direkt das eigene Handeln beeinflussen. Das schreibt sich ganz einfach; aber es wirklich zu begreifen ist schwer.
ICH bin also im Mittelpunkt. Nur wenn ICH Verantwortung für meinen Anteil am Erfolg (und Misserfolg) übernehme, nicht Opfer der Verhältnisse bin und von meinem Gegenüber etwas lernen will, statt es besser zu wissen, dann werde ICH das Team und die Sachthemen so voranbringen, wie ICH sie mir vorstelle.
Diese simple Erkenntnis zu verinnerlichen und daran zu arbeiten wird eines unserer wichtigsten Transformationsprojekte im Jahr 2022 sein. Das Arbeiten am ICH ist herausfordernd und anstrengend. Das gilt für Mitarbeitende, Führungskräfte und für MICH! Aber es wird nachhaltig sein und legt als Selbstverständnis den Grundstein für viele Transformationsprozesse.
Nun werden wir getroffene Vereinbarungen umsetzen und die Beteiligten dabei unterstützen, an sich zu arbeiten. Und wenn es mal nicht so klappt und wir in unsere Opferrolle verfallen: Dann erzählen wir uns gegenseitig kurz, wie schwer wir es haben – werden uns dann aber auch gegenseitig daran erinnern, dass ICH dies ändern kann.
Alles mit dem Ziel, das Unternehmen voranzubringen.
Wissend, dass jeder sein ICH kritisch in den Mittelpunkt stellen und als Player agieren muss!