Therapie für zu Hause

Vom Patienten zum digitalen Helfer: Jan Elsner litt schon als Kleinkind unter Schuppenflechte. UV-Bestrahlung half ihm. Die will er nun möglichst vielen Patientinnen und Patienten zugänglich machen. Sein Start-up Skinuvita hat den ersten Platz beim Preis der Wittener Gesundheitsvisionäre belegt.

Von Dr. Stephan Balling

Anfangs habe es ihn große Überwindung gekostet, öffentlich zu seiner Hautkrankheit zu stehen. „Schuppenflechte, das verstecken ja viele“, sagt Jan Elsner. Doch längst hat er sein Unwohlsein überwunden, darüber zu sprechen. An einem Donnerstag Anfang November steht er selbstbewusst vor einer Wettbewerbsjury an der Universität Witten/Herdecke. Sein kragenloses Hemd hängt lässig über die Hose, als er von seiner Krankheit erzählt und seine Idee präsentiert. Die eigene Biografie verschafft ihm Glaubwürdigkeit. Wer könnte einen größeren Antrieb haben, Abhilfe für Betroffene zu schaffen, als jemand, der seit seinem dritten Lebensjahr mit dieser Krankheit lebt?

In Europa leiden 56 Millionen Menschen an Hautkrankheiten wie Schuppenflechte oder Neurodermitis. Es gibt Therapiemöglichkeiten, aber die sind entweder mit starken Nebenwirkungen verbunden, etwa bei einer Cortison-Behandlung, oder sehr aufwendig. Denn Patientinnen und Patienten müssen drei- bis sechsmal die Woche eine Arztpraxis aufsuchen, um sich einer UV-Bestrahlung zu unterziehen. Genau hierfür will der 29-jährige Elsner eine Lösung gefunden haben. Die Bestrahlung will er zu den Patienten nach Hause bringen. Phototherapie soll dabei nur der erste Schritt sein. Elsner treibt eine große Vision: Er will die Basis schaffen für digitale Heimtherapien für Menschen mit chronischen Krankheiten.

Den Anfang soll die UV-Therapie bei Hautkrankheiten machen. Anfang November präsentierte Elsner also seine Idee in Witten und bewarb sich mit seinem Unternehmen Skinuvita um den Wittener Preis für Gesundheitsvisionäre 2021. Elsner überzeugte die Jury – und gewann den Preis. „Die Fokussierung auf ein echtes Problem vieler Patientinnen und Patienten, die digitale Innovationskraft und der Nachhaltigkeitsaspekt haben besonders überzeugt“, lobte Professorin Sabine Bohnet-Joschko, Inhaberin des Lehrstuhls für Management und Innovation im Gesundheitswesen an der Universität Witten/Herdecke.

Skinuvita setzt für seine UV-Therapie eine App ein. Sie soll für eine leitliniengerechte und sichere Behandlung sorgen. Elsner will Arzt, Patient und UV-Lichtgerät vernetzen. Auch dem, der auf dem Land wohnt oder vielleicht Kinder erzieht und deshalb nicht so leicht an mehreren Tagen pro Woche einen Dermatologen aufsuchen kann, soll die schonende Behandlung zugutekommen. Elsner erinnert sich an seine eigene Jugend. Von seinem Dorf in der Nähe des Städtchens Achim musste er regelmäßig mit Bus und Bahn nach Bremen fahren, um dort eine Therapieeinheit zu bekommen. Insgesamt drei Stunden war er unterwegs für eine Bestrahlung, die teilweise nur 30 Sekunden dauerte. „Einerseits war ich froh, weil das UV-Licht geholfen hat, andererseits konnte ich in dieser Zeit nicht wie andere Zeit mit Freunden oder auf dem Fußballplatz verbringen“, berichtet er.

Irgendwann habe ihm dann ein anderer Patient beiläufig im Wartezimmer erzählt, dass er die Therapie doch auch zu Hause machen könne. Klingt einfach, kostet aber. Für eine entsprechende UV-Lampe müssen Patienten 1.500 Euro hinlegen. „Die habe ich mir als Student gekauft und dafür schweren Herzens auf eine lang geplante Reise verzichtet“, sagt er und ergänzt: „Schnell habe ich verstanden, weshalb die Krankenkassen die Anschaffungskosten nicht übernehmen.“ Elsner berichtet von einem Sonnenbrand, weil er das Therapiegerät falsch eingestellt hatte. Der papierbasierte Therapieplan könne leicht zu Anwendungsfehlern führen, sagt der Start-up-Gründer. Schließlich ist es wichtig, stets die genaue Dosis für eine Lichttherapie einzustellen. Über die App funktioniert das automatisch. Außerdem würde bei einer analogen Anwendung die ständige Rückkopplung mit dem Arzt fehlen.

In der Skinuvita-App gibt der Patient an, welche Wirkungen eine Bestrahlungssitzung hatte, ob er Wärme verspürte oder gar Schmerzen. Entsprechend lassen sich die Intensität und Dauer medizinisch fundiert einstellen. Patienten kommen gar nicht in Versuchung, dies eigenhändig zu probieren. Und die App schützt auch andere: Eine Bestrahlung lässt sich nur über die App per Face-ID starten. Damit lässt sich zum Beispiel verhindern, dass Kinder Zugang erhalten und sich verletzen.

Eine digitale Lösung für mehr Sicherheit war also die Idee. Das war 2015, erinnert sich Elsner. „Schnell war aber klar, dass es dafür noch keinen Markt gab.“ Die Krankenkassen würden Patienten die Kosten nicht erstatten, Apps gehörten nicht zu ihrem Leistungskatalog. Elsner konzentrierte sich auf sein BWL-Studium an der Universität Bremen mit Schwerpunkt Entrepreneurship und machte sich in einem anderen Bereich selbstständig, arbeitete nebenbei als Musikproduzent und Toningenieur, vor allem aber als DJ auf Studentenpartys.

2019 dann witterte er eine Chance: Das Digitale-Versorgung-Gesetz trat in Kraft. Krankenkassen erstatten seitdem Versicherten die Kosten für digitale Gesundheitsanwendungen. Elsner arbeitete zu diesem Zeitpunkt als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Bremen. Er war in verschiedene Lehrveranstaltungen involviert und brachte in dem Zug für ein Studentenprojekt seine Idee einer digital vernetzten UV-Bestrahlung bei Hautkrankheiten für zu Hause ein. Ein Dermatologe, eine Gesundheitsökonomin und ein Informatiker sprangen auf. Es folgte der erste Covid-Lockdown und damit die Zeit, sich mit der Start-up-Idee stärker zu befassen.

Sein Professor an der Universität Bremen gab ihm Freiräume, seine Mitgründer wurden über ein Stipendium finanziert. In dieser Phase stellten sie ihr Konzept bei einer Veranstaltung des Berufsverbands der Dermatologen vor. „Unsere Idee kam super an“, erzählt Elsner. Die ersten neun Monate des Jahres 2021 konnte er das Projekt dann weiter mit einem Stipendium des Vision Health Pioneers Incubator 2021 finanzieren. Seit Oktober ist er Vollzeit-CEO des Start-ups Skinuvita.

Ein erster Partner ist gewonnen. Die Dr. Hönle Medizintechnik GmbH liefert die Hardware. Bis Jahresende 2021 überbrücken die drei Gründer die Zeit mit eigenen Ersparnissen, insgesamt 85.000 Euro haben sie zusammengekratzt. „Wir sind jetzt in Kontakt mit Investoren, das Ziel ist, mindestens eine Million Euro an Finanzierung zu sichern“, sagt Elsner.

Vor allem die anstehenden klinischen Studien dürften Kosten verursachen. Das Gesamtprodukt – App und Bluetooth Interface zum UV-Strahler – ist in der EU als Medizinprodukt der Risikoklasse IIa einzustufen. Eine sogenannte Benannte Stelle, etwa der Tüv oder eine Dekra-Stelle, muss es deshalb aufwendig und evidenzbasiert prüfen und zertifizieren. „Da bewerben wir uns gerade um einen Termin, was aufgrund der hohen Auslastung dort infolge der aktuellen Regulierung gar nicht so einfach ist“, erzählt der Start-up-Gründer.

Elsner rechnet fest mit einem Erfolg, aber das soll nur der erste Schritt sein. „Aufgrund der dynamischen Entwicklungen im Bereich Digital Health macht es wenig Sinn, langfristig in der Nische zu bleiben, wir wollen wachsen“, stellt er klar und verweist auf die vielen mittelständischen Medizintechnikunternehmen in Deutschland, die oft ziemlich „ingenieurslastig“ seien. „Wir sind da ein prädestinierter Partner, denn die Hardware produziert weiter der Hersteller.“ Skinuvita wiederum kümmere sich um das Thema Heimservice, den Zugang zu Patienten, die Vernetzung mit Ärzten und die Erstattung durch die Krankenkassen.

Das Unternehmen setzt dabei auf Selektivverträge mit Krankenkassen und verweist auf das Einsparpotenzial. Die Heimtherapie sei zwar etwas teurer als eine Bestrahlung in einer Praxis, gesteht Elsner ein. Aber da für viele Patientinnen und Patienten die sehr häufige Bestrahlung in der Praxis kaum in den Alltag zu integrieren sei, müssten viele Patienten mit wesentlich teureren Systemtherapien behandelt werden. „Im Vergleich zur konventionellen Systemtherapie oder zu Biologika ist unser Behandlungsansatz deutlich günstiger, sodass am Ende alle profitieren“, ist der Start-up-Gründer überzeugt und spricht von einer „Win-win-win-Situation“: Bessere Verträglichkeit, hohe Effektivität und mehr Lebensqualität für die Patienten, niedrigere Kosten für die Krankenkassen und eine Entlastung für die Dermatologen.

Elsner hat die Jury an der Universität Witten/Herdecke überzeugt. Er hofft, Ende 2022 alle notwendigen Zulassungsschritte erfolgreich absolviert zu haben, spätestens 2023 sollen die ersten Patienten die App auf ihrem Handy haben. Die Gründung von Skinuvita sei der beste Weg, aus seiner Krankheit etwas Gutes zu machen, sagt der 29-Jährige und zitiert den Apple-Gründer Steve Jobs: „Connect the dots“, verbinde die Punkte deines Lebens. Für Elsner gehört seine Krankheit dazu.

Wittener Preis für Gesundheitsvisionäre

Acht Finalisten waren am 4. November an der Universität Witten/Herdecke gegeneinander angetreten, um ihre Präventions- und Therapielösungen gegen chronische Krankheiten vorzustellen und die Jury aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesundheitsversorgung für sich zu gewinnen. Hinter Skinuvita belegte das Start-up Tinus mit seiner Technologie für eine Einschlafhilfe bei Tinnitus den zweiten Platz. Tinus hat zum Patent angemeldete Technologien entwickelt, die eine Übertragung von Musik und Klängen mit Hilfe von Vibration und Körperkontakt über ein Kissen ermöglichen. Der dritte Platz ging an Medipee für die Digitalisierung von Urinanalysen. Die Urin- oder Harnanalyse gehört seit jeher zu den grundlegenden Diagnosemitteln der Medizin. Durch die digitale Urinanalyse können Krankheitsbilder schneller erkannt und damit besser behandelt werden. Ins Leben gerufen wurde der Wittener Preis für Gesundheitsvisionäre von Prof. Dr. Sabine Bohnet-Joschko. Der Wettbewerb wird von einem interdisziplinären studentischen Team in Kooperation mit dem vom Land NRW geförderten Projekt ATLAS Digitale Gesundheitswirtschaft umgesetzt.